Jürgen Diem hat, von unseren Reisebeschreibungen inspiriert, in seinem Bestand eine Geschichte aus dem Jahr 1913 gefunden, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten möchten.

Segler-Erinnerungen
von Rudolf König, aufgeschrieben von Kurt Fleischfresser

Nun hatte ich also ein eigenes richtiges Segelboot, und es gab in den Ferien kaum einen Tag, wo der „Wandervogel” nicht auf Fahrt war. Im Sommer 1913 machte ich mit dem Boot meine erste größere Reise. Mein Freund Hans Radke aus Stettin besuchte mich, und es wurde sofort eine Fahrt angesetzt. Das Boot war mit einer Persenning versehen. Im Seesack wurde eine Matratze verstaut nebst Decken und Mänteln. Eine kleine Proviantkiste wurde wohlgefüllt‚ Petroleumkocher‚ Topf und Bratpfanne verstaut und fertig war die Reiseausrüstung.

Der Plan war: Über See bis Dievenow, Cammin‚ Wollin‚ durchs Haff bis Stepenitz und Stettin; dann zurück nach Ziegenort und übers Haff nach Swinemünde.

Zeit: etwa acht Tage. Früh um acht Uhr ging’s los. Wir legten bei leichtem Nordost ab, und die Familie begleitete uns bis zur Mole. Es ging mit einem langen Schlag nach See zu. Bald aber schralte der Wind auf Ost, und wir müssen uns gegenan quälen; dazu kommt noch Wind auf und damit auch mehr Seegang. Ich halte möglichst weit nach See, um nicht in die Brandung zu kommen. Mein armer Hans aber wird immer blasser und schließlich ist es soweit. Er spuckt und spuckt sich die Seele aus dem Leibe und ist mehr tot als lebendig. Als hilfloses Wrack liegt er am Boden und kann nichts machen. Es wird wirklich ungemütlich, und immer mehr Spritzer kommen ins Boot, ab und zu schöpft es sogar von See Wasser über. Da Hans wie tot daliegt und absolut apathisch ist, muß ich auch noch versuchen, das Wasser aus dem Boot zu bekommen. Mit viel List glückt es auch. Aber die Stunden vergehen. Um zwölf Uhr sind wir querab von Misdroy, und immer pauken wir gegenan. Ich überlege schon, ob ich nicht umkehren soll. Aber dann hätte ich mich fürchterlich blamiert; also durchhalten.

Nun meldet sich auch der Magen, denn Seeluft macht Hunger. Ich lange aus der Kiste Brot und Wurst und mache Mittag – vier Uhr nachmittags — Acht Stunden kreuzen wir bisher ununterbrochen mit dem Boot in der hohen See und gewinnen nur wenig Boden. Da flaut der Wind langsam ab. Von Südwest türmen sich Gewitterwolken auf. Nun wird die Angelegenheit doch bedenklich. Hans, der nun langsam wieder zum Leben erwacht war, hatte nur den Wunsch, auszusteigen. Wir halten Schiffsrat ab, und ich verspreche, mehr unter Land zu halten, und erst bei aufkommendem Gewittersturm das Boot auf den Strand zu setzen, Nun zucken auch noch Blitze, und der Donner kracht uns einsamen Seefahrern um die Ohren. Eine Böe aus Südwest bringt Regen mit, aber zur Notlandung zwingt sie mich nicht. Es wird auch gottseidank nicht schlimmer, und Regen und Gewitter verebben allmählich. Der leichte Südwest steht durch und bringt uns nun rasch unserem Ziele näher. Es wird wieder klar, und golden leuchtet uns die Abendsonne aus dem abziehenden‚ schweren Gewölk. Neuendorf und Heidebring zeigten das gewohnte Strandleben. Punkt acht Uhr abends passieren wir die Molen von Dievenow und gingen in der bald eintretenden Dunkelheit an einem Rohrkamp zu Anker.

Schnell wurde das Bootszelt aufgeschlagen und die Matratzen ausgebreitet (natürlich war alles von den überkommenden Seen durchnäßt), der Kocher brummte und es breitete sich Gemütlichkeit aus. Aus Suppenwürfeln wurde eine Frühlingssuppe fabriziert, Brot und Wurst dazu, und dann fielen den müden Seefahrern auch schon die Augen zu. In der Nacht zerrte der Wind mit uns umher, und der Regen trommelte auf das leichte Dach, aber es hat uns nicht gestört, nur am Morgen merkten wir mit Erstaunen, daß wir an einer ganz anderen Stelle lagen als am Abend. Der kleine Anker hatte nicht gehalten, und der „Wandervogel” hatte sich selbstständig gemacht. Ein Bad in der großen Waschschüssel war herrlich, denn nun konnte man seine langen Knochen wenigstens mal nach allen Seiten ausstrecken‚ was bei der Enge an Bord eine Unmöglichkeit war. Nach dem Frühstück wurde beschlossen, weiterzusegeln. Vor uns lag hell und klar der Bodden mit der herrlichen Silhouette von Cammin. Der Wind war gut, und bald hatten wir unser Musenstädtchen erreicht. von unseren Bekannten, besonders von den weiblichen, wurden wir als tapfere Seefahrer gefeiert. Ein Frühschoppen bei Paul Schuhmacher beendete unseren Camminer Besuch. Es war flauer geworden. Zur Linken lag flach die Insel Gristow mit dem gewaltigen Großstein. Gegen Mittag schlief der Wind ganz ein. Wir gingen an der Ecke von Gristow gegenüber von in Zünz in einem Binsenkamp zu Anker und sprangen erst mal über Bord, um den Ölkopf klar zu kriegen (siehe Frühschoppen).

Alles Warten auf Wind hatte keinen Zweck, und wir trieben langsam mit der Strömung die Dievenow nach Süden zu. Es war trotz der Flaute doch schön. Erst nach Sonnenuntergang lag Wollin im Abendschein vor uns. Auf dem Strom tummelte sich in Booten die Jugend mit Gesang‚ und die traulichen Klänge der Harmonika zeichneten so recht den Abendfrieden.

Wir machten irgendwo bei der alten Stadt Wollin fest und, gingen ins Hotel „Grüner Baum” zu Fritz Keding. Die zweite Nacht an Bord verlief schon etwas gemütlicher. Am nächsten Tag hofften wir auf guten Wind, um über das Haff zu kommen. Unsere Erwartungen täuschten uns nicht, und bald war der „Wandervogel“ wieder in seinem Element. Auf die Fahrrinne brauchten wir nicht zu achten, und bald hatten wir den „Tiefen Zug“ hinter uns‚ Sager und Paulsdorf blieben zur Linken, und die weite Fläche des Haffs lag vor uns. Immer wenn ich weites Wasser sehe, bemächtigt sich meiner ein ungestümes Gefühl der Freiheit. Hans hatte seine Seekrankheit überwunden, denn auch in der kurzen Haffsee hüpften und tanzten wir umher wie die jungen Lämmer. Die Klingeltonne blieb an Steuerbord‚ und mit Kurs auf dem Leitholm ging es weiter. Schwärme von Enten bevölkerten die Säume des Schaars, die zu Hunderten vor uns aufstanden, um im großen Bogen hinter uns wieder einzufallen, um auf Nahrungssuche zu gehen.

Der Wind geht auf Süd und zwingt uns zu kreuzen. Bei Stepenitz ist uns das aber über und wir gehen in einer stillen Bucht zu Anker, um erst mal Mittag zu machen.  Würstchen und unsere berühmte Maggisuppe wird unser Mittagessen. Ein Spaziergang an Land läßt die armen Beine wieder gelenkig werden. Als wir nachmittags wieder unter Segel gehen, kommt der Wind immer noch aus Süden. Wir kreuzen und mühen uns bis Pölitz‚ aber Wind und Strömung sind für uns zu stark, mit Stettin wird es also nichts. Kurz entschlossen wird kehrt gemacht, und in der Dunkelheit laufen wir in Ziegenort ein. Ein Jachtbesitzer lud uns ein, bei ihm längsseits zu kommen, wir sahen wohl reichlich abgekämpft aus. Er bewirtete uns ganz großzügig, Die Jacht war sehr komfortabel und gehörte dem Stettiner Jacht Club an; wir plauderten noch eine Weile von der schönen Segelei, bis uns die Koje wieder aufnahm. Nachts rüttelte es im Tauwerk, Regen trommelte auf unser Zelt.

Der Morgen zeigte uns‚ daß ein harter Nordwest aufgekommen war. Was tun? An sich wäre Gelegenheit nach Stettin, aber wir wollten lieber wieder zurück nach Swinemünde, da wir beide doch schon recht kreuzlahm waren. Übers Haff ging es wegen des starken Windes nicht, also mußten wir abwarten. Gegen Abend schien es so, als ob der Wind etwas ruhiger geworden wäre. Also Segel hoch und los. Aber kaum hatten wir die Einfahrt passiert, da kriegte uns der Wind zu fassen. Wir preiten einen ausgehenden Schleppzug an, uns mitzunehmen, aber die nahmen keine Notiz von uns. Also wieder mal beigedreht und zurück nach „Geißenheim” (Ziegenort). Ganz hinten im Holzhafen krochen wir unter, wie die Kücken unter die Glucke.

Naß wie wir waren, ging’s zu Pflugraths Gasthaus, um den Ärger hinunterzuspülen‚ und da wir nun schon äußerlich angefeuchtet waren, wollten wir dem inneren Menschen davon abgeben. Spät ging’s zurück in unseren schwankenden Untersatz.

Was würde der nächste Tag bringen? Und der Tag kam, wie wir es nicht erhofften. Regen, Kälte, Sturm. Oh, das Warten war bitter. Aber am Nachmittag wurde es etwas günstiger. Wir schlugen in unser kleines Segel ein Reff ein, zurrten im Boot alles fest und dann ging’s los. Es war doch recht unangenehm, aber wir können gut anliegen, denn es wehte aus West.

Als wir so richtig frei von Land waren, merkten wir doch, daß es ging. Wir fliegen wie in einer Luftschaukel‚ aber gewöhnten uns daran. Die Kaiserfahrt können wir nicht schaffen, dafür aber voll und bei die Steilküste von Lebbin. Es mußte eigentlich recht gefährlich ausgesehen haben, wie unsere kleine Nußschale herumgestoßen wurde, aber der Mut blieb Sieger. Schließlich kamen wir an. Die Gefahr lag hinter uns. Wir freuten uns, daß wir es so gut geschafft hatten.

Es war Abend geworden und der Wind hatte sich beruhigt‚ Wir kreuzten die alte Swine entlang bis Kaseburg. Nun ging der Wind gänzlich schlafen. Wir packten unser Segel ein und griffen zum ersten Mal zu den hölzernen Leesegel‚ d.h. zu den Riemen. Wir wollten nicht noch eine Nacht an Bord schlafen, darum also ran an die Arbeit.  Außerdem würden wir dadurch wieder schön trocken werden. Mit vier Riemen würgten wir unser Boot dem Ziele zu. Ohne Pause zwei Stunden mit voller Kraft wie die Galeerensklaven. Punkt zwölf Uhr nachts machten wir wieder in Swinemünde fest. Das „Gottseidank” von uns beiden war ehrlich gemeint.

 

Nachtrag von Jürgen Diem:
Der Wolliner Kapitän Kurt Fleischfresser hat seine Segler-Erinnerungen und die seines Freundes Rudolf König 1980 im Eigenverlag veröffentlicht. In der obigen Geschichte von einem Törn „Rund Wollin“ ist Rudolf König gerade 19 Jahre alt. Kurt Fleischfresser war später Hafenmeister in Laboe, wo er ein privates maritimes Museum aufbaute, aus dem das heutige Fischerei- und Seefahrtsmuseum wurde (HTTPS://WWW.OLE-SCHIPPN.DE/BLOG/OSL-IM-JULI-2020/).

1980 erschien das Buch “Mit auf den Kurs” im Eigenverlag. Kurt Fleischfresser erzählt darin von den Schiffen und Häfen an der Pommerschen Küste. In Zusammenarbeit mit Rudolf Hoffmann war 1975 das Buch “Segler von Haff und Bodden. Pommersche Küstenschiffahrt” im Verlag Egon Heinemann, Norderstedt herausgebracht worden. Ein weiteres Werk ist „Die alte Inselstadt Wollin in Pommern und die Schleppnetz-Fischerei unter Segel auf dem Stettiner Haff.”

 

 

Ein Gedanke zu “Reise durch Pommern (8) – Segler-Erinnerungen”

  • Sehr schöner und lebendiger Bericht! Ich werde ihn meinem Onkel empfehlen, der auch seit seiner Jugend leidenschaftlicher Segler war.

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