Die Ferienzeit verläuft in diesem Jahr für Viele anders als gedacht. Deshalb wollen wir Ihnen in den nächsten Wochen den Urlaub mit Auszügen aus alten Reisebeschreibungen verschiedenster Art ein kleines bisschen nach Hause bringen.
Begleiten Sie uns heute auf eine Fahrt von Berlin nach Rügen:
Ich wollte zum ersten Mal in meinem Leben die Küsten von Rügen sehen, die hohen Kreidefelsen von Jasmund besuchen und durch die dunklen Eichenwälder des Granitz und der Stubnitz wandern; im Juli waren mir die Tage zu heiß gewesen, jetzt ging der Sommer zu Ende und nur bis in die ersten Tage des September hinein tragen den Reisenden die Dampfschiffe aus dem Hafen von Stettin über die grünen Wogen der Ostsee an den Strand.
Ich packte den Reisekoffer, und eine Droschke brachte mich um 10 1/2 Uhr nach dem stettiner Bahnhofe wo ich gerade zur rechten Zeit eintraf, um mit dem nach Königsberg um 11 Uhr abgehenden Schnellzuge nach Stettin zu fahren. Die Benutzung des nächtlichen Schnellzuges nach Königsberg zu einer Reise nach Rügen hat den Vortheil, daß man nicht genöthigt ist, einen halben Tag und eine Nacht in Stettin zu bleiben.
Zwischen 5 und 6 Uhr Morgens geht ein Dampfboot von Stettin ab, welches Swinemünde berührt, Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr in Putbus landet, und dort noch an demselben Tage nach Stralsund fährt. Von Berlin bis Stettin zahlt man für die dritte Wagenclasse 2 Thaler. Von Stettin nach Swinemünde beträgt die Taxe für das Dampfboot für die erste Kajüte 1 1/2 Thaler, für die zweite Kajüte 1 Thaler, von Swinemünde nach Putbus 3 Thaler. Nimmt man ein Billet zur Hin- und Rückreise von Swinemünde nach Putbus, so kostet dies nur 4 1/2 Thaler. Auch von Stettin nach Putbus kann man ein Billet zur Hin- und Rückreise kaufen und dadurch einige Thaler sparen. Ich würde indeß Niemandem rathen, der Ersparnisse einiger Thaler wegen sofort ein Billet zur Hin- und Rückreise zu nehmen.
Ich kaufte mir ein Billet, welches nur auf die Hinfahrt nach Putbus lautete, welches ich mit 4 1/2 Thalern in preußischen Kassenanweisungen bezahlte. Man versehe sich überhaupt zu der Reise nach Rügen mit preußischem Gold, Silber und Papier, andere Münzsorten haben auf den königlichen Postdampfschiffen keinen Cours und denselben wird die Annahme hartnäckig verweigert.
Ich werde aber, wenn ich wiederum die Insel Rügen besuche, nicht wieder mit dem Nachtzug fahren, und würde diesen Rath auch dem Reisenden geben. Man kommt um drei Uhr Morgens in Stettin an, und ist gezwungen, die Zeit bis zur Abfahrt des Dampfschiffes in den nichts weniger als wohnlich eingerichteten Zimmern des stettiner Eisenbahnhofes zuzubringen. Von Schlaf ist dort keine Rede…und so spaziert man nach einer schlechtdurchwachten Nacht, gähnend und wüst im Kopf, mit derangirtem Haar und Kleidern, einen Kofferträger neben sich, Morgens um 4 1/2 Uhr von dem ungastlichen Bahnhofe am Ufer der Oder entlang nach dem Landungsplatz des Dampfschiffes, um den ganzen Tag auf der See zuzubringen. Man präparirt seinen Magen dadurch förmlich zur Seekrankheit.
Ich würde deshalb dem Reisenden rathen, seine Reise folgendermaßen einzurichten: Entweder mit dem Abendzuge der stettin-berliner Eisenbahn von Berlin nach Stettin zu fahren und in Stettin im Hotel zu den drei Kronen, wo man recht gut und nicht theuer wohnt, die Nacht zuzubringen und am andern Morgen nach sehr reichlichem und guten Frühstück die Reise auf dem Dampfschiff anzutreten; doch muß man sich dann vorher Einsicht von den Dampfschifffahrtsplänen verschaffen, ob auch an dem Morgen, wo man von Stettin abzureisen gedenkt, ein Dampfschiff abgeht; denn die Dampfschiffe fahren dreimal die Woche Morgens zwischen 5 und 6 Uhr und dreimal Mittags, gewöhnlich um 12 1/2 Uhr und man könnte sonst in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt werden, einen ganzen Tag in Stettin bleiben zu müssen. Reist man aber um 5 Uhr von Stettin ab, so ist man Nachmittags zwischen 3-5 Uhr, jenachdem der Wind und das Meer es gestatten, in Swinemünde. Die Fahrt von Stettin nach Swinemünde dauert fünf Stunden, die Fahrt von Swinemünde nach Putbus ungefähr ebenso lange.
Die Fahrt auf dem Dampfschiff, so lange dasselbe innerhalb des Stromgebiets der Oder bleibt, ist nicht sehr abwechselnd. Die beiden Ufer der Oder sind durchgängig niedrig, nur hier und da erheben sie sich in Etwas über das Niveau des Flusses, Ortschaften, einzelne Häuser und Höfe wechseln mit niedrigem Gebüsch und größeren Baumpartien.
Swinemünde, das bekannte Seebad, in dessen Nähe das vielbesuchte Seebad Heringsdorf liegt, ist der erste Stationsort. Da ertönt wieder die Schiffsglocke, die Elisabeth wendete sich, stieß vom Lande ab, und bald entschwand Stadt und Küste aus dem Gesichtsfelde und wir segelten wieder auf offener See.
Nur ein Mittel hat mir auf allen meinen Seereisen über die Seekrankheit hinweggeholfen, ich habe gut gefrühstückt und gut dejeunirt und diniert und dazu recht guten, schweren Rothwein oder Portwein getrunden, und darin für meinen Magen und meine Nerven ein Präfentiv gefunden, welches sie für die gierigen Krallen dieses Ungeheuers unnahbar macht, und ich rathe dies allen meinen Lesern.
Die Mittel zu meinem gerathenen Dejeuner und Diner möge sich der Reisende auf dem königlichen Postdampfschiff Elisabeth indeß am besten von Stettin mitnehmen. Die Civilisation und Cultur der Ostseedampfschiffe ist noch nicht sehr weit vorgerückt, man träume ja nicht von jenen reichlichen und wohlschmeckenden Mahlzeiten, welche auf englischen und französischen Dampfschiffen geboten werden; über ein ziemlich mageres Beefsteak, eine schwache Tasse Kaffee und ein Glas Portwein oder Rum gehen Koch und Kellermeister der königlichen Dampfschiffe Stralsund und Elisabeth nicht hinaus.
Links tauchte die Insel Ruden, rechts die hohen Küsten der Insel Oie auf, vor uns erblickten wir die waldigen Hövte von Mönchgut fuhren dann durch das neue Tief in den rügenschen Bodden.
Pommern und Rügen hingen einst durch Mönchgut zusammen, noch jetzt sieht man bei niedrigem und ruhigen Wasser auf dem Grunde des Meeres an einigen Stellen Eichen und Tannenbäume.
Bald dehnte sich die Südküste Rügens vor uns aus, und an der Insel Vilm vorbei steuerte die Elisabeth auf den Hafen von Lauterbach zu.
Die Landungsglocke ertönt und die Elisabeth legt an der langen hölzernen, auf Pfählen ruhenden Landungsbrücke an, welche vom Strande in der Länge von mehreren hundert Schritten und in einer Breite, daß ein Wagen darauf umkehren kann, weit ins Meer hinaus gebaut worden ist.
Auszüge und Bilder aus: Ein Ausflug nach Rügen, Gustav Rasch, Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber, Leipzig, 1856, Digitalisat verfügbar bei Internet Archive, Link: https://archive.org/details/bub_gb_N0kNAAAAYAAJ/mode/2up (zusammenstellung kf)