Ein Beitrag von Jürgen Diem

 

Unvergessen ist Gustav Knuth in der Rolle des Eisernen Gustav, in der er mit seiner Pferdekutsche von Berlin nach Paris fährt. Schon Jahre früher vollbrachte mein Urgroßvater Helmuth Haack aus Tribsow bei Cammin ein ähnliches Bravourstück, zusammen mit zwei Männern aus Brendemühl.

Und das kam so zustande. Es hatte nämlich der Sohn des Tribsower Gutsbesitzers um 1895 ein Anwesen in Elsaß-Lothringen übernommen. Ob durch Kauf oder Einheirat ist nicht mehr bekannt. Mein Urgroßvater sollte dort Gutsverwalter werden.

Um zu zeigen, was für Kerle sie sind, fuhren Helmuth und die beiden Männer mit Pferd und Wagen von Pommern über den Rhein. Sie schlossen eine Wette ab, in wie viel Tagen sie die Strecke bewältigten würden. Und die haben sie gewonnen. Die Etappen waren sorgfältig ausgewählt. Durch die Kontakte des Gutsbesitzers aus seiner Militärzeit und zu anderen Gütern war es möglich, Nachtquartiere zu finden und die Pferde zu versorgen. Am Ziel waren die Pferde in einem ordentlichen Zustand. „Die Pferde waren nicht abgeklappert,“ wie meine Großmutter berichtete.

Mit seiner neuen Aufgabe im Elsaß kam Helmuth Haack gut zurecht. Wegen des hügeligen Geländes war dort der Einsatz von Maschinen schwieriger und nicht so verbreitet wie in Pommern. Teilweise wurde noch mit der Sichel gemäht und nicht wie in Norddeutschland mit der Sense. Der neue Gutsinhaber wollte aber gern die modernere pommersch-preußische Technik ausprobieren hatte volles Vertrauen zu meinem Großvater und zu seinen beiden zuverlässigen Männern aus Brendemühl. Helmuth und der Gutsbesitzersohn kannten sich aus Kindertagen und hatten als Jungen Streiche ausgeheckt und das Dorf mit Spuk in Aufregung versetzt1. Mein Urgroßvater hatte die volle Unterstützung seines neuen Chefs.

Solch eine „Seilschaft“, wie man es heute vielleicht ausdrücken würde, fehlte leider meiner Urgroßmutter Emilie. Sie konnte offenbar keine Frauen vom Tribsower Gut mitnehmen. So stand sie allein zwischen der jungen Gutsbesitzerin und dem streng katholischen weiblichen Personal, das durch häufige Kirchenbesuche den geregelten Arbeitsablauf durcheinanderbrachte.

Auch war sie als Mutter mit zwei kleinen Kindern – meine Großmutter war ein Jahr alt und ihr Bruder Hans drei – zusätzlich belastet. Deshalb wurde ihr die Arbeit neben der Versorgung der Kleinkinder zu viel und sie kehrte bald wieder nach Tribsow zurück. Mein Urgroßvater blieb noch einige Zeit dort, bis ein Nachfolger am Ort war. Ihm gefiel es gut in Elsaß-Lothringen und er fand auch netten Kontakt zu den Nachbarn, mit denen er auch lange nach seiner Rückkehr Briefe wechselte. Noch Jahre später schrieben sie ihm, er solle doch einmal wiederkommen.

Meßtischblatt 6503 Kattenhofen der Königl. Preuss. Landesaufnahme 1880

Wo aber lag der Ort, an dem meine Großmutter zwei Jahre als kleines Kind verbrachte? Sie hatte von Sigmaringen gesprochen. Solch einen Ort gab es aber weder im Elsaß noch in Lothringen. Wohl aber verzeichnet das Gemeinde- und Ortslexikon des Deutschen Reichs 1901“ von E. H. Petzold in Lothringen einen Weiler Simmingen beim Flecken Rodemachern, Kr. Diedenhofen. Auf dem Meßtischblatt 6503 Kattenhofen der Königl. Preuss. Landesaufnahme 1880 sind diese Orte zu finden, die ich auf einer Reise nach Frankreich aufsuchte. Sie liegen westlich der Mosel und etwas südlich von Luxemburg. Im Ort Kattenhofen (frz. Chattenom), nach dem das Meßtischblatt benannt ist, befindet sich ein Kernkraftwerk, von dessen Störfällen schon mehrfach in den Schlagzeilen unserer Presse zu lesen war.

Kapelle in Simmingen

In Simmingen (frz. Semming) steht die Kapelle, in die sich die Mägde vermutlich oft zurückzogen Ein Gutshof war nicht zu erkennen, nur große Stallungen. Der kleine Ort war menschenleer, ich konnte niemand fragen.

Rodemachern, Petit Carcassonne

Der Flecken Rodemachern (frz. Rodemack) ist sehenswert und wird wegen seiner Imposanten Stadtmauer auch das „Carcassonne des Nordens“ genannt. Dort gab es sicher einmal das zuständige Standesamt. Aber da meine Urgroßeltern während ihrer Zeit dort keine weiteren Kinder bekommen hatten, können sie auch nicht in den Registern verzeichnet sein.

Eheleute Helmuth und Emilie Haack

So blieben meine Vermutungen unbestätigt, bis ich einem Cousin meiner Mutter davon erzählte. Der wusste wiederum aus den Erzählungen seiner Mutter, dass der Wein zu ihrer Hochzeit aus Diedenhofen bestellt worden war. Auch zu anderen Gelegenheiten bestellte ihr Vater Wein von dort. Der kam mit der Bahn jedes Mal in einem Fässchen wohlbehalten an. So sehe ich die Ortssuche als geklärt an. Leider bekam ich diese Auskunft erst nach meiner Reise durch Lothingen, sonst hätte ich mir wenigstens eine Flasche Wein aus Thionville mitgenommen.

  1. Diese Geschichte ist ebenfalls in unserem Blog erschienen: Spuk in Tribsow