Zum 4. Advent
von Marie Luise Bartz aus: Unser Pommerland, 1. Jahrgang 1912-13, Nr. 2
Nun zieht über der Heimat wieder herauf “die frohe heil’ge Weihnachtszeit, Frühlingszeit im Reich der Gnade”… Adventsglocken rufen durch die klare kalte Winterluft, die wir uns im Pommernland jetzt gar nicht anders wünschen. Denn Weihnachtszeit ohne Eis und Schnee, ohne überreifte Tannen in unseren schönen Wäldern ist ja gar keine echte Festzeit. Was soll denn da aus allen Schlitt- und Schneeschuhen, aus den hübschen Schlitten mit klingenden Schellen werden, wenn sie nicht gerade jetzt, in den Weihnachtstagen probiert werden können, für die die Jugend sie sich so brennend gewünscht hat?
Unsere Seewinde könnten ja manchmal etwas linder über die weiten Fluren wehen, das ist richtig. Hier auf der Höhe wollen Sie uns fast das Gesicht zerreißen, und rote Nasen “verklamte” Finger sind oft das Ende eines Spaziergangs durchs freie Feld. Aber dafür gibt es zu Hause mollig warme Kachelöfen, in deren Röhre die Bratäpfel schmoren; von der Küche her kommt würziger Kaffeeduft, klingt tönend der Mörser, in dem alles Gewürz zum Pfefferkuchenbacken gestoßen wird.
Und dann ein ”Schummerstündchen” mit dem Erzählen alter Geschichten um den runden Tisch, im gemütlichen alten Sofa. Die alten Bäume im Garten mit ihrer Schneelast scheinen durchs Fenster herein und füllen das Zimmer mit traulichen Zwielicht. Der Abendstern am tiefblauen Winterhimmel steht zwischen den Zweigen und weiß die ältesten und wunderbarsten Mären zu berichten. Geliebte pommersche Landheimat, wo auf Gottes weiter Erde wird uns noch einmal so warm ums Herz, als bei dir ?!
Das ist Heimatzauber, pommersche Gemütlichkeit! Und hier wollen wir uns auch mühen, die alten trauten Sitten und Gebräuche zu erhalten, die alte, oft unverstandene Überlieferungen (aber das braucht ja nicht so zu bleiben), in unserem Volksleben wurzeln.
Da ist im Gutshaus der Heil’ge Abend angebrochen. Die Kinder des Dorfes sind freundlich beschenkt worden, die Leute des Haushaltes feiern mit im großen Weihnachtszimmer und dürfen auch die Tische der Herrschaft und aller Familienglieder eingehend besichtigen. Manches urwüchsige Urteil über Dinge und Gebrauchsgegenstände, die ihnen fremd sind, hört man da mit lustigem Spaß.
Da, ein Poltern im Nebenzimmer! Hereinkommen ungefügige Gestalten. Ein Ding, dass sich fortbewegt wie auf vier Beinen und in seiner weißen Umhüllung einem Schimmel ähnlich sieht. Oben darauf reitet ein vermummter Bursche mit einem Stabe in der Hand. Ein zottiger Bär, unter dem zwei Menschenfüße zum Vorschein kommen, führt possierliche Sprünge und Tänze auf, die ein anderer vermummter Bursche auf einer alten Trommel, meistens wenig musikalisch, begleitet. So geben Sie unter dem Gelächter der Leute ihre urwüchsige Vorstellung.
“ Wodan, der alte Schimmelreiter” heißt es im gebildeten und verständnisvollen Landhause. Die Herrin hat der Mamsell einen Wink gegeben, und der Inhalt einer großen Schüssel mit Äpfeln, Nüssen und Weihnachtsbackwerk regnet in das mitgebrachte Säckchen des Schimmelreiters. Der Hausherr aber, wenn er es gut mit seinen Leuten meint, gibt ihnen kein Geld, dass sie nachher in den Krug lockt, sondern hält ein Kistchen Zigarren bereit, oder ein hübsches Volksbuch. Vergnügt ziehen die Leute davon und halten beim Weihnachtsschmaus und dem Vorlesen der spannenden Geschichte ihre schlichte Heiligabendfeier, die nicht mit einem Wüsten Zank endet, der den Gutsherren zum Einschreiten veranlasst und auch ihm die Festfreude verdirbt.
Ja, so ist da, wo man unser heimisches Volkstum [1. Siehe: Feste und Spiele des deutschen Landvolkes. Von Professor Kück und Professor Sohnrey. Berlin S. W. 11 Deutsche Landbuchhandlung, Preis 3 Mark. (Ging rühmend im Preußischen Abgeordnetenhause von Hand zu Hand )] kennt und pietätvolles Verständnis unseren schlichten Landleuten entgegenbringt.
Aber man hat auch anders erlebt. Da rümpft die vielleicht aus der Großstadt stammende Hausfrau die Nase über das “odeur”, dass die Leute vom Stall hier in die herrschaftlichen Zimmer tragen. Der Hausherr schilt leise oder auch vernehmlich über die alberne und sinnlose Bettelei und der Inspektor bekommt einen Wink, dass die Leute am nächsten Weihnachtsfeste mit ihrem Mummenschanz in der Leutestube zu bleiben haben.
Sagt nun gar noch der Herr Pastor tadelnde Worte über “die Sünde, am Feste der christlichen Liebe solchen heidnischen Götter Kultus, und obenein sinnlos und entartet, vorzuführen”, so ist’s ganz gefehlt. An solchen Orten sind bald spurlos alle sinnigen Sitten verschwunden. Dafür schaffen sich die Leute bei Ihrem jetzigen guten Verdienst und ihrer ungeschulten Musikliebe ein Grammophon an und nach den grausam schmetternden Klängen von “Stille Nacht, heilige Nacht” tanzen sie Walzer. Heiligen Abend wird um hohen Einsatz “gemauschelt” und getrunken bis in die späte Nacht. Zank, wüste Köpfe und leere Taschen sind das Ergebnis am ersten Weihnachtsmorgen, wo im lieben Pommernlande sonst noch zahlreich die fromme Sitte der Frühmette um 6 Uhr herrscht, auf die sich im stillen Dorfe die Kinderschar so besonders freut, weil man da mit Lichtlein oder einem Wachsstock zum Kirchlein gehen darf.
Ja, rauben wir unseren Leuten die schlichten harmlosen Freuden, statt als gebildete Führer des Volkes sie zu veredeln und mit Inhalt zu erfüllen, wo sie sinnlos geworden sind, so suchen sie sich selbst die unheiligen und lärmenden Genüsse. Die Folgen aber haben alle Stände zu tragen; Fragen echter Volkstumspflege gehören zu den staatserhaltenden Aufgaben jeder Zeitfolge.
Möchten auch alle hübschen Weihnachtsgebräuche im lieben Pommernlande in Stadt und Land immer zahlreichere Pfleger und Pflegerinnen finden. Und damit Ihnen allen eine :
Fröhliche Weihnacht!