Paul Scharnofske war ab 1924 Lehrer in Wobesde, Kreis Stolp. Im „Stolper Heimatblatt für die Heimatvertriebenen aus der Stadt und dem Landkreis Stolp in Pommern“ aus dem Dezember 1953 veröffentlichte er diese Erinnerung an die Weihnachtszeit.

„Weihnachtsschule“ in unseren Dörfern

Von Paul Scharnofske

Schule in Alt Warschow Kreis Schlawe 1903
Schule in Alt Warschow Kreis Schlawe 1903

Als der gute Stolper Schulrat B. mich eines Tages telephonisch davon in Kenntnis setzte, daß er am 18. Dezember mit der „Arbeitsgemein­schaft der Junglehrer“ in meine Landschule W. kommen wolle, mußte ich ihm antworten: „Das geht leider jetzt nicht. In den Tagen vor Weih­nachten gibt es für uns auf dem Lande keinen Stundenplan und keine gefächerte Schularbeit mehr. Wir bereiten nur die , Weihnachtsschule‘ vor.“ So war es tatsächlich überall in den Dörfern. Die „Weihnachts­schule‘ bedeutete soviel als .Schul-Weihnachtsfeier“, an der das ganze Dorf beteiligt war. Da kamen die Alten und die Jungen, die Frauen und die Männer. Selbst solche Eltern fehlten nicht, denen das Wohl der Schule als der Lehranstalt ihrer Kinder sonst gar nicht so sehr am Herzen lag (In Kirchdörfern wurde die Feier auch wohl ins Gotteshaus gelegt)
Schule in Alt Warschow Kreis Schlawe 1903

Wenn im trüben November die Abende immer länger geworden wa­ren, wenn erster, manchmal schon recht harter Frost über unsere hei­matliche Erde ging, wenn die Schneeflocken dann und wann schon mal ihren ach so gern beobachteten Wirbeltanz aufführten, dann war es so weit. Von den Zeichen der Natur her spürten wir es mehr und mehr: Es weihnachtet‘ Und wenn dann in Häusern und Schulen die Advents­kerzen zu leuchten begannen, dann ging auch das große Fragen der Kinder an, das sich um die tausend Dinge bewegte, die dem Weihnachts­glanz nach außen und nach innen Rechnung tragen sollten.

Die allererste Frage war wohl: „Wie gestalten wir in diesem Jahre die Weihnachtsschule?“ Daß die Weihnachtsfeier in der Familie eigentlich doch die erste und größte Sache sei. ja, daran dachten unsere Kinder noch nicht. Zu Weihnachten sollte nun mal das ganze Dorf wie eine Familie aufstehen, sich unter dem großen Tannenbaum in der Schule ver­sammeln, den Liedern und Vorträgen lauschen und die Weihnachtsbotschaft vernehmen. Eltern und Großeltern sollten in der Weihnachtsschule nach den Mühen und Sorgen eines langen Jahres endlich einmal „wie Kinder fromm und fröhlich sein“.

Wir wollen nicht davon reden, daß es bei aller Vorfreude während der Vorbereitung in der Schule auch mancherlei Ärger oder gar Kum­mer gab. Es sollte doch alles auch klappen: die Chorlieder. die Gedicht­vorträge, die Zwiegespräche, das Festspielchen. Da mußte gehobelt und gefeilt, hier gestrichen und dort ergänzt und umgruppiert werden. Probe reihte sich an Probe. Aber der Gedanke an die Eltern und Großeltern, an die Armen und Vereinsamten im Dorf, an die Freude allein, an die ganz große, einmalige Weihnachtsfreude im Jahr, die nun mal allen ins Herz hineingesungen und -gesprochen werden sollte —, dieser Gedanke ließ keine Ermüdung aufkommen, kein Verzagen und keine Mutlosig­keit. Viele fleißige Kinderhände regten sich auch, um den Baumschmuck in Ordnung zu bringen, ihn zu ergänzen, kleine Geschenke für minder­bemittelte Mitschüler zusammenzutragen und für Verbreitung der Ein­ladung zu sorgen.

Und wenn es dann zum Abend ging, zu diesem letzten Abend vor der heiligen Nacht, dann strömten unsere Dorfleute aus allen Straßen und Gäßchen, aus Häusern und Hütten, ja, selbst von den Ausbauten herbei und füllten die Plätze alle: die Bänke, die Fensterbretter, die Gänge, die Flure und die Treppen. Es war fast wie damals in Bethlehem: .Sie hatten keinen Raum in der Herberge´. Daß den Trägern der Ver­anstaltung selbst, den Kindern, nur ein kleines Eckchen verblieb, war selbstverständlich. Aber in dieser einzigartig schönen Christnachtsfeier stand ja das Kind in der Krippe im Mittelpunkt. Was waren wir kleinen Menschenkinder schon im Vergleich zu dem göttlichen Kindl So ging denn die ganze Stunde — es wurden manchmal auch zwei — im Dienst der Verkündigung der Weihnachtsbotschaft auf und die sie verkündeten, das waren neben den wenigen schwachen Worten des Lehrers die Kin­der allein. Sie wurden zu wahrhaften Predigern des Evangeliums, und — man sah es den Gesichtern der Hörer an — ihre Verkündigung traf — damals noch  – die Herzen der Menschen

Sage selbst, lieber Heimatfreund, ist das nicht eine liebe Erinnerung? Weißt du noch, daß du dereinst auch so ein kleiner Prediger warst? Be­sinnst du dich auf die Stunden, als deine Kinder in tiefster Gläubigkeit und mit heiligem Ernst aus der Gruppe der Dorfkinder heraus in die Weihnachtslieder einstimmten und ihren Weihnachtsspruch in die Schul­stube hineinriefen? Oder haben die Zeichen unserer Zeit alles ver­wischt oder gar ausgelöscht?

Ach, daß es doch Weihnachten bliebe in aller Herzen! Daß doch der Weg unserer Väter, der auch unser Weg wurde, von unsern Kindern weiter beschritten werden möchte! Ich sage immer gern: Wenn wir in der Fremde unsere Heimat ehren wollen, dann müssen wir auch unseren übernommenen Weihnachtsglauben hochhalten. Wer den Glauben an die Krippe über Bord wirft, hat auch seine Heimat aufgegeben.