„Zukunft braucht Herkunft“ ist der Titel eines Buches des Philosophen Odo Marquard, der am 9.Mai 2015 in Celle verstarb. Man könnte diesen Ausspruch als Sinnbild für die Familienforschung verstehen. In einem Interview der Zeitschrift „Der Spiegel“ antwortete Prof. Marquard 2003 auf die Frage, wieso Zukunft Herkunft bräuche: „Weil für zu viel Veränderung das Menschenleben zu kurz ist. Wir haben einfach nicht die Zeit, alle oder auch nur die meisten Dinge unseres Lebens neu zu regeln. Unser Tod ist stets schneller als die meisten unserer Änderungen. Weil darum die Freiheit zum Neuen begrenzt ist, müssen wir überwiegend herkömmlich leben – es bleibt dann noch die Chance, unsere Herkunftshaut neu zu verstehen und dadurch ihr gegenüber geistig frei zu werden, obwohl wir aus ihr nicht heraus können.“ „Aber das uns prägende Vergangene ist doch immer schon da – Familie, Sprache, Institutionen, Religion, Staat, Feste, Geburt, Todeserwartung –, wir entkommen ihm nicht. Wo wir anfangen, ist niemals der Anfang. Vor jedem Menschen hat es schon andere Menschen gegeben, in deren Üblichkeiten – Traditionen – jeder hineingeboren ist und an die er, Ja sagend oder negierend, anknüpfen muss. Das Neue, das wir suchen, braucht das Alte, sonst können wir das Neue auch gar nicht als solches erkennen. Ohne das Alte können wir das Neue nicht ertragen, heute schon gar nicht, weil wir in einer wandlungsbeschleunigten Welt leben. “ [1.http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/26448590]
Was war die Herkunftshaut dieses Professors für Philosophie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Präsidenten der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland, der zahlreiche Preise, u.a. das Große Bundesverdienstkreuz erhielt?
Odo Marquard wurde am 26. Februar 1928 in Stolp am Bahntor 3 ( das war damals eine Klinik) [2.Stolper Hefte 2009] geboren. Sein Vater war der preußische Oberfischmeister [2. Die See- und Küstenfischerei Mecklenburgs und Vorpommerns 1918 bis 1960, Fischereiverwaltung in Preussen ] für die ostpommersche Hochsee- und Küstenfischerei Dr. Otto Marquard in Stolpmünde, wo die Familie auch in der Villa Eldorado, Eldoradoweg 3 wohnte. Das Amt des Oberfischmeisters wurde im 19. Jahrhundert in Preussen eingeführt und es gab anfänglich Direktionen in Stralsund und Swinemünde. Dem Oberfischmeister oblag die Überwachung der ordnungsgemäßen Befischung der Ostsee im Bereich Ostpommern. Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben, zu denen auch fischereibiologische Forschungen gehörten, stand ihm ein schnittiger Motorsegelkutter zur Verfügung. [3. Bürgerbrief Nr. 83 September 2011 vom Bund der Lebaer e.V. ]
Otto Marquard ist auch der Verfasser des Artikels „Die Fischerei im Stolper Land“ der 1933 im Sonderheft „Stolper Land“ von „Unser Pommerland“ erschien. [4. im Digitalisat auf Seite 37]
1931 wurde der Oberfischmeisterbezirk von Stolpmünde nach Kolberg verlegt, so dass die Familie umzog. [5. Die Bautechnik Heft 5 1933 ] Odo schrieb selber über seine Jugend: „Ich bin Jahrgang 1928, geboren in Stolp in Hinterpommern. Zur Schule ging ich zunächst ebenfalls in Hinterpommern: in Kolberg. 1940 mit zwölf kam ich – ich erwähne das, um es nicht nicht zu erwähnen – auf ein Naziinternat, eine Adolf-Hitler-Schule, war schließlich Luftwaffenhelfer und beim Volkssturm; im August 1945 mit siebzehn hatte ich meine Kriegsgefangenschaft schon hinter mir.“ [6. Selbstvorstellung ]
Nach Studium in Münster und Freiburg wurde Odo Marquard Professor für Philosophie in Giessen.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
verlieh ihm 1984 den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa mit den Worten:
„Odo Marquard“ dem es in seinen Schriften gelungen ist, schwierige Gedanken so anmutig auszudrücken, daß der Leser das Fürchten verlernt, welches ihn die schwerfällige Sprache philosophischer Dogmatik von der Philosophie gelehrt haben könnte.
Wie sympathisch beschrieb er sich selbst:
„Als ich in Münster sein Assistent wurde, monierte er [[gemeint ist sein Lehrer Joachim Ritter]] – der immer schon vor 5 Uhr früh am Schreibtisch saß alsbald, daß ich erst gegen Mittag aufstand. »Ich war«, sagte er mir, »auch einmal so eine Nachteule wie Sie; aber das kann man ändern: man beginnt damit, daß man früh ins Bett geht; das Weitere ergibt sich von selbst.« Seither gehe ich früh ins Bett und stehe spät auf; es ist manchmal wirklich nicht einfach, meinen täglichen Mittagsschlaf dazwischenzubekommen.“ [6. Selbstvorstellung ]
Es ist schön und tut gut, diesen versiert recherchierten und den Verstorbenen in sensibler Weise würdigenden Artikel zu lesen, wenn man – wie ich – über 33 Jahre an derselben Alma Mater (Universität Gießen) gearbeitet hat und zufällig auch den identischen Geburtsort Stolp/ Hinterpommern aufweist. Beste Grüße, Willi-Eckhard Wetzel.