Die Vision eines Arztes

Im frühen 19. Jahrhundert, als Europa unter den napoleonischen Kriegen ächzte, fasste Dr. Georg Friedrich Büttner in Rügenwalde einen kühnen Plan: An der Mündung des örtlichen Flusses sollte ein Seebad entstehen. Was heute selbstverständlich erscheint, war damals ein gewagtes Unterfangen. Die Staatskassen waren durch die Kriegskosten geleert, die Städte kämpften ums Überleben, und niemand dachte an Luxus wie Kurbäder.

Doch Büttner ließ sich nicht entmutigen. Mit diplomatischem Geschick wandte er sich direkt an den König und bat um die Erlaubnis, eine große Scheune vom Schlosshof nutzen zu dürfen. Als die königliche Genehmigung eintraf, machte sich der findige Arzt ans Werk: Die Scheune wurde Balken für Balken abgetragen und an der Flussmündung als erstes Badehaus wieder errichtet.

Rügenwaldermünde um 1895, Quelle fotopolska.eu

Ein Badehaus entsteht

Im Sommer 1814 öffnete das erste Seebad an der pommerschen Küste seine Pforten. Das einstöckige Gebäude war mehr als nur ein Badehaus – es beherbergte Badezellen für Heißbäder, Gästezimmer, einen Speisesaal und sogar einen Billardraum für die geselligen Stunden.

Die technische Ausstattung war für die damalige Zeit bemerkenswert: Ein ausgeklügeltes System aus Rinnen und Pumpen leitete warmes und kaltes Meerwasser in die Wannen. Nach jedem Badegang wurde das Wasser vollständig abgelassen – ein hygienischer Standard, der keineswegs selbstverständlich war. Eine strenge Badeordnung regelte den Ablauf, während Bademeister, Helferinnen und Wasserträger für den reibungslosen Betrieb sorgten.

Für die Anhänger der Kaltbäder – damals als besonders gesundheitsfördernd gepriesen – stand ein separates Häuschen direkt am Strand bereit. Die Sittsamkeit der Zeit verlangte eine strikte Trennung: Herren und Damen durften niemals gleichzeitig baden.

Die Investition war beträchtlich: 4.524 Taler kostete das gesamte Unternehmen, obwohl Büttner durch geschenktes Land und gespendete Baumaterialien unterstützt wurde – eine Summe, die nach heutigem Wert mehrere hunderttausend Euro entsprechen würde.

Karte von Rügenwalde und Rügenwaldermünde um 1918

Schwere Anfangsjahre

Die ersten Jahre verliefen ernüchternd. Dr. Büttner, der mit so viel Idealismus begonnen hatte, musste erleben, wie die Gäste ausblieben und er Monat für Monat Geld zuschießen musste. 1819, nach fünf entbehrungsreichen Jahren, nahm er schweren Herzens eine neue Stellung an. Verzweifelt bot er der Stadt das Bad für 3.600 Taler zum Kauf an – doch die Stadtväter lehnten ab. So verließ der Gründer sein Lebenswerk und überließ die Leitung Superintendent Wagner, der ebenfalls mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.

Der Held Johann Ehlert

In diesen schweren Zeiten trat eine bemerkenswerte Gestalt hervor: Johann Ehlert, der Bademeister der ersten Stunde. Der kriegsversehrte Veteran war nicht nur ein treuer Diener der Badeanstalt, sondern erwies sich als wahrer Held. 1822 rettete er König Friedrich Wilhelm IV. vor dem Ertrinken – eine Tat, die ihm königliche Anerkennung einbrachte. Sechs Jahre später bewies er erneut seinen Mut, als er während eines verheerenden Sturms mehreren Seeleuten das Leben rettete. Für diese Heldentat erhielt er die begehrte Rettungsmedaille.

Als Dr. Büttner starb und die Badeanstalt zu verfallen drohte, griff Ehlert beherzt ein. 1835 kaufte er das vernachlässigte Bad und gab ihm einen neuen Namen: „Friedrichs-Bade-Anstalt“. Unter seiner engagierten Führung erblühte die Einrichtung zu neuem Leben. Die Gästezahlen stiegen, die Anlagen wurden verschönert – bis eine verheerende Sturmflut im Winter 1836 alles zunichte machte. Doch selbst diese Katastrophe konnte Ehlerts Tatendrang nicht brechen. Mit königlicher Unterstützung von 300 Talern baute er das Bad wieder auf.

Aufblühen zur Kurzeit

Die harten Jahre trugen schließlich Früchte. Bis 1837 war aus der einsamen Flussmündung eine lebendige Gemeinde mit 270 Einwohnern und 50 Häusern geworden, die alle Gäste beherbergten. Die Vorliebe der Zeit für Kaltbäder führte zum Bau weiterer Strandhäuschen, und das Bad entwickelte sich zu einem gefragten Kurort.

1841 übernahm Bäckermeister Gohrbandt die Anstalt und benannte sie in „Friedrich Wilhelms-Bad“ um. Zwanzig Jahre nach der Gründung war aus Büttners kühnem Traum Realität geworden: 1860 führte ein offizielles Adressbuch das Seebad als etablierten Kurort auf, der neben warmen und kalten Bädern auch Konzerte und gesellschaftliche Veranstaltungen bot.

So wurde aus einer Scheune vom Schlosshof und dem Mut eines Arztes einer der ersten Kurorte an der deutschen Ostseeküste – ein Pionierwerk, das den Grundstein für den deutschen Bädertourismus legte.

 

 

Dieser Artikel fußt auf dem Artikel von Karl Rosenow:

Geschichte und Entwicklung von Rügenwaldermünde (bis ca. 1840) In:

Aus der HeimatErnstes und Heiteres aus Vergangenheit und Gegenwart.

Beilage zur „Neuen Hinterpommerschen Zeitung“, Rügenwalder Zeitung. Nr. 12-14 1913.

Der Artikel    Geschichte und Entwicklung von Rügenwaldermünde (pdf Download) enthält wesentlich mehr Einzelheiten, auch über das Schulwesen im Ort.

https://bibliotekacyfrowa.eu/dlibra/publication/54105/edition/57985  

https://bibliotekacyfrowa.eu/dlibra/publication/54106/edition/57986

http://bibliotekacyfrowa.eu/dlibra/show-content/publication/54107/edition/57987/