Unser Mitglied Matthias Beulke war vom 16.-22.03.2024 auf einer einwöchigen Reise durch Hinterpommern. In diesen Tagen fuhr er rund 1800 Km entlang der polnischen Ostseeküste und hat die Orte aufgesucht, wo seine Vorfahren bis 1945 lebten.

In seiner Freizeit befasst sich Matthias seit über 20 Jahren mit der Orts- und Familienforschung in Hinterpommern, beide Großväter stammten aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, der eine aus Pommern, der andere aus dem angrenzenden Westpreußen und ist dann im Kreis Bütow aufgewachsen. Matthias Beulke ist seit 2004 Mitglied im Pommerschen Greif und sammelt alles über die Familie Beulke weltweit. Weitere Forschungs-Schwerpunkte sind die ehemaligen Landkreise Kolberg-Körlin und Lauenburg in Pommern, die jüdische Familienforschung in Pommern und Auswanderer von Pommern nach Nordamerika und Australien.

Nachdenklich haben ihn die vielen Militärkolonnen aus allen NATO-Staaten gemacht, die auf polnischen Straßen in Richtung Osten fuhren……

Sein Bericht:

Wilhelm Kurt Beulke

Mein erstes größeres Ziel der Reise war die Stadt Lębork, das ehemalige Lauenburg in Pommern im sogenannten „Blauen Ländchen“, etwa 50 Km westlich von Danzig, an der Grenze zur ehemaligen Provinz Westpreußen. In dieser Stadt, in der Jägerhofstraße 1, beim Arbeiter Garmatz, wurde am 29.04.1916 mein Großvater Wilhelm Kurt Beulke als Sohn der unverehelichten Arbeiterin Martha Beulke geboren.

Gerüchteweise war ein jüdischer Kaufmann namens WINTERFELDT Vater des Kindes, dafür gibt es allerdings keine gesicherten Nachweise.
Aufgewachsen ist Wilhelm bei den Pflegeeltern Adolf PUNSCHKE und Minna, geborene ROHDE in dem Dorf Luggewiese, Kr. Lauenburg i. Pom., dort ist er auch zur Volksschule gegangen.

1932-34 arbeitete er in der Landwirtschaft in Neuendorf, später in Roslasin. Nach dem Reichsarbeitsdienst bei Leba ist er 1938 Soldat in Eberswalde geworden.

Wilhelm Kurt Beulke hattes großes Glück. Er war seit 1938 Berufssoldat, erst im Westen, später in Russland. Er wurde Unteroffizier in der 7. Panzerdivision (bzw. in deren Resten), hatte 1945 noch an den Kämpfen um Danzig teilgenommen, gelang auf die Halbinsel Hela. Am 16/17.04.1945 wurden in allerletzter Minute die Reste der 7. Pz.Div. nach Swinemünde ausgeschifft. So entging Wilhelm der sicher geglaubten russischen Kriegsgefangenschaft.
Von Swinemünde aus ging es als Fußmarsch in den Raum Ludwigslust. Die Division sollte noch in die Schlacht um Berlin eingesetzt werden. Aber der Kommandeur hatte dafür gesorgt, dass die Reste dieser Einheit sich in Richtung Schleswig-Holstein, in die britische Internierung, absetzen konnten. Mein Großvater kam im Raum Eutin in das Internierungslager “KORPSGRUPPE VON STOCKHAUSEN”, der Entlassungsschein wurde bereits am 03.07.1945 in Eutin ausgestellt. Er wurde nach Braunschweig entlassen, dort hatte er sich freiwillig zur Trümmerräumung gemeldet. Nach Ankunft musste er sich am Hauptbahnhof melden und registrieren lassen.

Matthias Beulke und Hilary Kohnke, mit der Einladung zur Gedenkveranstaltung 80 Jahre Untergang der Wilhelm Gustloff 2025

Auf einer kleinen Veranstaltung zu dem Thema „Was geschah mit den Deutschen Einwohnern in Lębork nach 1945, wo lebten sie und was war ihr Schicksal?“ berichtete ich auf Einladung von Herrn Wojciech Pasko-Porys, dem Leiter des kleinen privaten Maritimmuseums „Galerii na Wyspie“ – Galerie auf der (Leba-)Insel (ehemalige Villa der aus Berlin stammenden Familie Siemens) – über meine eigene Familienforschung. Teilnehmer waren etwa 20 interessierte Personen, u.a. Mitglieder der deutschen Minderheit in Lębork und Gdynia und Herr Hilary Kohnke, der das Gedenken an die „Operation Hannibal 1945“ und an die Schiffskatastrophen „Wilhelm Gustloff“, „Steuben“ und „Goya“, vor der pommerschen Küste aufrechterhält und aufarbeitet. Mit dem Kennwort „Hannibal“ gab Admiral Hans-Georg von Friedeburg am 23. Januar 1945 die Anweisung, aufgrund des Vorrückens der Roten Armee die Verlegung der in Gotenhafen (dem heutigen Gdynia) stationierten Marineeinheiten aus dem umkämpften Gebiet nach Westen vorzubereiten. Die Marineangehörigen sollten u.a. an Bord der Wilhelm Gustloff nach Westen gebracht werden. Zusätzlich wurden mehrere Tausend Flüchtlinge an Bord genommen. Bei der Operation Hannibal verloren über 20.000 Menschen ihr Leben.

Das Ziel der Teilnahme bei dieser Veranstaltung und des Vortrags in Lębork war das Knüpfen und die Pflege von Kontakten zu polnischen Freunden, Familienforschern, Interessierten und Organisationen. Somit war es sicher auch ein wertvoller Beitrag zur Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit.

Ein weiteres Ziel meiner einwöchigen Reise war Gdynia (deutsch Gdingen, von 1939–1945 Gotenhafen), eine Hafenstadt an der Danziger Bucht. Dort im Staatsarchiv habe ich an zwei Tagen die Grundbücher von Schweslin (5 Bände), Villkow (4 Bände) und Kamelow (4 Bände), alles Orte im Kreis Lauenburg. fotografiert und dokumentiert, auch um meine Datenbank zu ergänzen.

im Lesesaal Staatsarchives Gdynia

Ein kleiner spontaner Abstecher führte mich nach Rützow , um mir den alten Gutspark anzuschauen.
“Der Rützower Park (angeblich 36 Hektar) wurde auf Betreiben der hier bereits erwähnten Charlotte Sophie Henriette Schröder unter Federführung des bekannten Potsdamer Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné um 1830 angelegt. In Anbetracht der Parkgestaltung und -bebauung ist wohl davon auszugehen, dass der westliche Teil der Rützower Seewiesen (also das flache Gelände zwischen dem Buchenhügel und dem Gutshof), der ohne Zweifel als Rasenparterre zur Anlage gehörte, schon vor der Seeablassung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts trocken lag. Die oben angesprochene Bebauung bestand neben dem Herrenhaus noch aus dem Pavillon oder griechischen Tempel (stand ca. 500 Meter nordwestlich der Kirche auf dem in die Parkanlage miteinbezogenen Buchenhügel, bis auf spärliche Steinreste nichts erhalten), der neogotischen Ritterburg (stockt in rudimentärer Form 350 Meter östlich der Kirche, besteht aus Ringgraben und Burghügel – ca. 22 × 15 Meter – und einem ehemals oktogonalen backsteinsichtigen Turm von ca. acht Metern Durchmesser und mindestens drei Geschossen, dieser bis auf ein schmales hohes Teilstück zerstört) und dem Gewächshaus (stand 330 Meter nördlich der Kirche in der Nähe des dortigen Teiches, ist abgängig, seinen ehemaligen Standort bedeckt ein Schuttberg).” (Quelle: https://www.gutslandschaft-pommern.de/Ruetzow.html)

im Gutspark in Rützow, Kreis Kolberg-Körlin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Leider erkennt man nicht mehr viel von der alten Pracht, aber der teilweise uralte Baumbestand ist schon sehenswert. U.a. steht man plötzlich vor einer 280 Jahre alten, ca. 28 m hohen Platane. Leider war es an dem Tag sehr nass und matschig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mittwoch, 20.03.2024
Am Mittwochvormittag habe ich als erstes das Lapidarium und die Maikuhle in Kolberg besucht, anschließend schlenderte ich am Maikuhlenstrand und habe sogar ein paar kleine Bernsteine gefunden.

Gedenkstein am Lapidarium, auf dem ehemaligen Maikuhlenfriedhof Kolberg

Über die Dörfer Garrin (einmal um die Kirche gelaufen), Seefeld und Semmerow fuhr ich dann in Richtung Groß Jestin (polnisch Goscino).

Martha Beulke

In Groß Jestin wurde am 25.04.1889 meine Urgroßmutter Martha Emilie Auguste BEULKE geboren, als Tochter des Arbeitsmannes Hermann Carl August BEULKE und seiner Ehefrau Emilie Anna Johanne, geb. KELLERMANN. Martha BEULKE ging um 1916 nach Lauenburg i. Pom., ihre Eltern bauten in den 1920er Jahren ein kleines Siedlungshaus in der Bergstraße.

Groß Jestin, oder heute polnisch Gościno, hat seit 2018 den Status einer Stadt, wandelt sich aktuell von einem größeren Bauerndorf zu einer Kleinstadt. Überall wird gebaut, die Leute ziehen von Kolberg hierher, weil die Mieten günstiger sind. Im Gemeindegebiet, zu dem auch die Stadt Gościno gehört, leben mittlerweile mehr als 5.000 Menschen.
Der alte deutsche Friedhof von Groß Jestin befindet sich an der Kirchhofstraße (heute Gościno, Mickiewicza). Alle Gräber sind nicht mehr sichtbar. Nur ein Lapidarium ist geblieben. Aber es werden immer noch im Boden alte Grabsteine gefunden und mit aufgestellt. Dort habe ich ein Blumengesteck zum Gedenken an die deutschen Bewohner und Toten abgelegt.

Anschließend hatte ich einen Termin bei dem Bürgermeister, Herrn Mariana Sieradzkiego. Ich habe das Buch der jüdischen Kaufmannsfamilie Marx übergeben. Dieses Buch wurde von David Marx aus Kanada geschrieben, ein Nachfahre dieser Familie, die bis 1939 in Groß Jestin lebten. Sein Vater Karl und dessen Bruder Ernst konnten 1939 noch rechtzeitig mit Hilfe des Bürgermeisters Emil SYRING Deutschland verlassen, gelangten erst nach England und später nach Kanada. Die Eltern Gustav und Marta und die Schwester Ilse Marx (*21. Juni 1912 in Groß Jestin) wollten ihre Heimat nicht verlassen und kamen im Holocaust ums Leben.

Die Dorfkirche in Groß Jestin
Maciej Hryb und Matthias Beulke in Groß Jestin am Taufstein

Nach der Buchübergabe im Rathaus hatte Maciej Hryb, ein heutiger Einwohner, der sich auch für die deutsche Geschichte seiner Stadt interessiert mir praktisch den ganzen Ort gezeigt.
So konnte ich erstmals die Kirche betreten und anschauen, die allerdings in den 1970er Jahren ein neues Inventar erhalten hatte. Aber der Taufstein in dem vermutlich schon die Urgroßmutter 1889 getauft wurde ist noch da.

In dem früheren Haus des Groß Jestiner Arztes Dr. Tolks schräg gegenüber befindet sich das Rathaus. Es soll aber demnächst in ein neues Verwaltungsgebäude umziehen. Gleich nebenan steht die ehemalige Apotheke.

 

 

 

 

 

 

Die „Neue“ Schule durfte ich mir auch anschauen. Mit Hilfe von heutigen Bewohnern konnte ich den Ort verifizieren, wo 1945 Gruppenbilder entstanden sind, die Kinder und Mütter aus Bochum zeigt. Diese Gruppe kam im Rahmen der Kinderlandverschickung in das Dorf. Beide Bilder sind an der “neuen” Schule in Groß Jestin gemacht, das eine vor dem Haupteingang, das andere vor der Sporthalle.


Anschließend ging es noch zum ehemaligen Hof von Emil SYRING, zum Krankenhaus, am Postgebäude und Villa des Baumeisters RADMER vorbei, entlang des Standortes vom ehemaligen Bahnhof der Kleinbahn bis in die Bergstraße.

In der Bergstraße (heute Ulica Wyspiańskiego), in der “Neubausiedlung” an der Kleinbahn, stand ich dann vor dem kleinen Siedlungshaus meiner Vorfahren, dass in den 1920er Jahren gebaut worden war – schon ein tolles Gefühl. Leider waren die heutigen Besitzer nicht zuhause.

Das ehemalige Siedlungshaus der Familie Beulke

Nach einem wirklich schönen Nachmittag in Groß Jestin ging es noch zum Kämitzsee, und dann über Moltow und Klein Pobloth (wo 1859 mein Ur-Urgroßvater Hermann geboren wurde) zurück nach Kolberg.
Am Freitagvormittag, dem letzten Tag der Reise, war ein Besuch im Staatsarchiv Stettin eingeplant. Leider konnte ich eine für mich wichtige Urkunde nicht bekommen. Mit dem Archivar durchsuchte ich verschiedene Kataloge , ich hatte eine alte Signatur der Akte “Gesuchs des Major von Lübtow zu Buechow by Lauenburg um Conferierung eines Gratial-Gutes”, Möglicherweise liegt diese Akte gar nicht in Stettin, sondern in Greifswald? Dieser Major von Lübtow war einer meiner Vorfahren.

Zwei Akten habe ich fotografiert, die den Kreis Lauenburg betreffen: “Die Auswanderungen diesseitiger Untertanen nach fremden Staaten, 1892-1893” und das “Protocollbuch der Schuhmacher-und Pantoffelmacher-Innung Lauenburg 1861-1877”.

Im Lesesaal des Staatsarchivs Stettin
Das Staatsarchiv Stettin

Fazit: es war eine vollgepackte Woche mit vielen interessanten Begegnungen, unvergesslichen Eindrücken und Gesprächen. Ich werde noch eine Weile brauchen, um all die Eindrücke zu verarbeiten und die Daten aufzuarbeiten.

2 Gedanken zu “Auf den Spuren der Vorfahren – Reise durch Hinterpommern”

  • Das hört sich wirklich sehr interessant an.
    Ich bin auch seit einigen Monaten auf Ahnenforschung meiner Familie.
    Mein Urgroßvater ist Groß Schlanz Kreis Dirschau geboren.
    Das Letzte was ich weiß laut der Todesanzeige meiner Großmutter 1963, dass Familie in Gdinia lebt.

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