Ein Beitrag von Martina Riesener
Parallel zur Entwicklung des im ersten Teil beschriebenen alltäglichen Brauchtums und seinen Ritualen entstanden verschiedenste Handlungen und Überzeugungen, die als gottlos und mystisch empfunden werden. Diese nicht durch Kirche oder Staat legitimierten Ansichten und Praktiken wurden als anderem als Aberglauben bezeichnet. Seit Ende des 18. Jahrhunderts wird dieser eher abwertend besetzte Begriff des Aberglaubens zunehmend durch die Bezeichnung „Volksglauben“ ersetzt.
Die sogenannte „Volksfrömmigkeit“ ist ein Teil des Volksglaubens. Sie beinhaltet ebenfalls religiöse Handlungen, die zwar von kirchlicher Seite nicht legitimiert und gefördert sind, aber geduldet werden.
Nachfolgend berichtet Eva Näpflein von im pommerschen Volksglauben beheimateten Sitten und Gebräuchen:
Der Tod ist das Unheimlichste aller Rätsel, Glaube und Aberglaube ließen Sitten und Gebräuche aus grauer Vorzeit von Geschlecht auf Geschlecht sich vererben. Wenn am Abend oder in der Nacht die Hunde heulen, so stirbt einer im Dorfe.
Vom Bett des Toten trat man dann in Zezenow zurück, damit die Geister seine Seele holen konnten. Ein Gesangbuch wurde ihm unter das Kinn gelegt, damit der Mund geschlossen bleibt und mit in den Sarg, damit er singen kann. Geräte seines Gewerbes z.B. ein Fischernetz wurden ihm mit auf den Weg ins Jenseits gegeben, damit er sich die Zeit vertreiben konnte; denn vom Fischernetz konnte er nur alle Jahre einen Knoten lösen.
In den Sarg toter Kinder legte man ihr liebstes Spielzeug, damit sie Ruhe fänden im Grabe. Auch ein Licht wurde den Toten in die Hand gegeben, damit ihre Seele den Weg zum Himmel fände.
Hatte man bei der Leichenrede vergessen, die Lichter anzustecken, so hatte man viel versäumt, damit der Tote selig werden konnte.
Hatte man einem Toten ein Versprechen gegeben, so mußte man es halten, damit der Verstorbene im Grabe Ruhe findet. Keine Träne darf auf den Toten fallen, damit er trocken liegt. Sein Sarg darf nicht mit dem Kopfende zuerst hinausgetragen werden, sondern mit dem Fußende, sonst würde er die Übrigen bald nach sich gezogen haben. Das gilt auch für das Begräbnis eines toten Hundes. Einem Mädchen, das einen toten Hund in Stolp einmal falsch hinaustrug, starb auch bald der zweite Hund.
Ist der Gesang beim Aussingen des Toten sehr hell und weitklingend, so wird bald wieder ein Mensch im Dorf sterben.
In Dörfern, die keine Kirchhöfe hatten, wurde bei der Rückkehr vom Kirchhofe des Kirchdorfes auf der Grenze Stroh ausgebreitet, damit der Tote, wenn er zurückkehrte, sich ausruhen konnte. Das Stroh, auf dem einmal ein Toter gelegen hat, darf nicht in Gebrauch genommen und auch nicht für das Vieh verwendet werden, weil sonst das Vieh krank wird.
Im Kreise Stolp war es üblich, das Totenlager noch eine Nacht nach der Beerdigung an Ort und Stelle zu belassen, da der Tote in der Nacht nach seinem Lager zurückkehrt und darauf ruht. Ein Federkissen unter dem Kopfe eines Toten läßt ihm keine Ruhe.
Beim Hinaustragen der Leiche aus dem Hause kann man erkennen, welchen Geschlechts die nächste Leiche sein wird. Folgt ein Mann als letzter, so wird ein Mann als erster sterben, oder dasselbe gilt bei der letztfolgenden Frau.
Der Glaube, daß Menschen, die in der zwölften Stunde mittags oder nachts an einem Donnerstag oder Sonntag geboren werden, Geister sehen können, war in Hinterpommern weit verbreitet, Begegnen sie einem Leichenzug, so sieht ihr Auge schon, wer der nächste Tote sein wird; denn sein Geist folgt schon im Leichenzuge dem Sarg.
Dieselbe Gabe besitzt der, der durch den linken Augenring des linken Pferdes des Trauerwagens schaut. An den Pferden, wenn sie sich umsehen, nach welcher Seite der Straße und nach welchem Hofe, kann man ebenfalls feststellen, wo es den nächsten Toten geben wird.
Der Kirchendiener aus Culsow konnte aus dem Geläute der Glocken angeblich erkennen, ob der nächste Tote eine große oder kleine Person war. Im Kreise Stolp war es beim Todesfalle Sitte, das Vieh des Hofes anzurühren und aufstehen zu lassen. Man glaubte auch, es bei den Bienen tun zu müssen. Wer hiergegen verstößt, sowohl Mensch als Tier, wird einen sehr festen Schlaf, den sogenannten Todesschlaf haben.
Wenn z.B. in Schmenzin, aber auch in anderen Dörfern des Bublitzer Kreises, der Hausherr starb, so pflegte man alles Vieh auf den Hof zu treiben, so lange bis der Tote den Hof verlassen hatte, Das Vieh sollte von dem Tod des Herrn erfahren. War dies aus Witterungsgründen nicht möglich, so mußten Knechte jeweils zwischen zwei Tiere treten und sagen: „Nu drägen sei jugen Herrn weg.“
Träume von Toten bedeuten Regen. Man soll den Traum aber nicht in den nächsten 24 Stunden weiter erzählen. Als einem Bauern im Bütowschen drei Ehefrauen stets nach der Entbindung gestorben waren, entging die Vierte diesem Schicksal dadurch, daß sie täglich einen toten schwarzen Hahn und eine tote Henne zu ihren Füßen ins Bett legte. Sie soll nach der Geburt eines Kindes am Leben geblieben sein. obwohl sie schwächer war als ihre Vorgängerinnen.
Zur Autorin:
Eva Näpflein, geborene Schultz, wurde am 18.06.1914 in Stettin als Tochter des Schiffsoffiziers Wilhelm Anton Franz Schultz und seiner Ehefrau Franziska Johanna Hedwig Gatz geboren. Bereits im gleichen Jahr starb ihr Vater, als sein Schiff kurz vor dem Weihnachtsfest auf Minen in der Ostsee lief. 1920 heiratete ihre Mutter den verwitweten Kurt Hans Anhalt. Eva selbst ehelichte den gebürtigen Nürnberger Ottmar Konrad Näpflein und wurde Mutter mehrerer Kinder.
1965 wird ihre Adresse mit Düsseldorf, Schwerinstraße 61 angegeben. Sie starb 1974. Ihr Mann Ottmar überlebte sie einige Jahre und starb am 22. Juni 1987 in der Nähe von Lindau.
Ich habe die Zeilen mit Interesse gelesen, wenngleich ich überhaupt nicht affin bin für derartige Bräuche.
Aber sie zeigen doch die Ehrfurcht, die die Menschen seinerzeit für Übersinnliches und damit Ethik hatten!!!