Ein Beitrag von Wolfram Stratmann
Der Aufruf Gräber für die kostenlos nutzbare Ahnenforschungsdatenbank zu erfassen ist einleuchtend und deutet eine leichte Beschäftigung für das Gute an. Die deutsche Sepulkralkultur wirkt dabei mit, deshalb lohnt ein kurzer Blick darauf.
Während das Finden von aus politischen Gründen beseitigten oder vergessenen Friedhöfen relativ schwierig ist, geht es hier um die aktuell genutzten Friedhöfe. Von den darauf befindlichen Grabstellen gab es Listen. Aus denen konnte früher jede Person Auskunft erhalten. Das ist heute nicht immer so. Deshalb entwickelte sich die Erfassung von Gräbern für eine Datenbank längst zur Sache hart gesottener ehrenamtlicher Helfer:innen. Gerade wenn man das mit guten Fotos machen will, dann gibt es Fallstricke. Dabei kann sich ein behördlicher Antragsdschungel auftun und es können Gebühren fällig werden. Eventuell wird man in Bußgeldverfahren verwickelt oder muss mit Privatklagen rechnen. Auf diesem Weg wird das vielleicht neben dem Spaziergang ausgeübte Ehrenamt des Graberfassers zum umständlichen rechtsheiklen Getue.
Dazu trägt die behördliche Sepulkralkultur bei. Dort ist man sich nicht einig was Friedhöfe sind oder welche Funktion diese haben. Es gibt nämlich die Diskussion, ob Friedhöfe ein besinnlicher öffentlicher Raum zur Erholung und für das Gedenken sind, wie die Parkfriedhöfe in Hamburg-Ohlsdorf und Stettin, oder ein Grundstück mit kleinen Pachtflächen auf denen privates Gedenken ausgedrückt wird. Entsprechend wird mit der Datenmenge und den Gräbern des Friedhofs umgegangen.
Einige Friedhofe, wie Hamburg-Ohlsdorf, geben Auskünfte über die vorhandenen Gräber und sogar kostenlose farbige elektronische Lagepläne für die Friedhofsbesucher heraus. Auf dem Hamburger Friedhof darf man fotografieren. Dieser Friedhof ist ein öffentlicher Raum der Erholung und des Gedenkens voller frei sichtbarer Denkmäler. Weil er wie eine Parkanlage betrieben wird, werden einzelne Gräber nicht nach dem jeweiligen Ende des Pachtvertrags beseitigt, sondern Grabfeldweise. Deshalb können dort Gräber normaler Leute ohne zusätzliche Pachtkosten schon mal hundert Jahre lang bestehen bleiben.
In anderen Städten bekommt man auch auf schriftlichen Antrag hin keine Auskunft zur Lage von Gräbern. Da scheint alles geheim zu sein. So in der Stadt des angeblich einzigen Deutschen Museums für Sepulkralkultur. Der aktuelle Datenschutz geht an anderer Stelle noch weiter. Dort bleibt der Friedhof ein privater Raum des Gedenkens und die Gräber mit den Grabsteinen, die genehmigungspflichtige Denkmäler sind, werden als Privatgrundstücke betrachtet, die ohne Einzelerlaubnis nicht fotografiert werden dürfen. Die frei sichtbare Grabsteininschrift ist dort privat. Man erklärt, der Friedhof sei kein öffentliches Gelände, sondern ein halbprivates Grundstück für die private Trauer. Wer sich unbefugt dort aufhält, begeht einen Rechtsverstoß. Die Verwaltung kann deshalb auch ein Aber wegen des Datenschutzes der Grabsteininschriften haben. Übrigens ergab sich juristisch die Erkenntnis, dass Grabsteine trotz ihrer Denkmalfunktion keine Denkmale sind, weil sie nicht auf einem normal öffentlichen Grund, wie einem Platz oder an einer Straßenkreuzung stehen.
Möglicherweise erreichen die meisten privaten Grabsteine das Ende der Datenschutzfrist nicht, weil der Pachtvertrag für das Grabgrundstück vorher ausläuft. Dabei ist man sich nicht klar, ob die Datenschutzfrist wegen des Verwaltungsakts zum Grab einhundert Jahre lang ist oder nur zehn Jahre, wie nach dem Tod bei Abbildungen üblich, oder ob sie so lange läuft wie der Pachtvertrag des Grabes, oder ob diese Sichtweise Unsinn ist.
Außerdem wird mit dem Pachtgrundstück „Grab“ formaler umgegangen. Bis zum Ablauf des Pachtvertrages gelten für die Pächter schon mal krasse Anweisungen. Der Fernsehsender NDR-MV berichtete im Dezember 2014 aus der kleinen Stadt Warin im Mecklenburg-Vorpommern über ein riesiges Schild, direkt vor dezent gepflegten Gräbern, mit der Aufschrift „MÜLLABLADEN VERBOTEN !“. Die damalige Stadtverwaltung fand das keineswegs pietätlos und wollte die Grab-Grundstückspächter zur Disziplin zwingen. Man ging wohl davon aus, dass die grabpachtenden Bestattungspflichtigen ihre Flächen des Gedenkens als Mülldeponie nutzen könnten. Den angemessenen Respekt vor diesen klein parzellierten Orten mit Denkmälern und des persönlichen Gedenkens hatte man dem strengen Verwaltungsblick unterzogen.
Das ist die öffentlich-rechtliche Form der deutschen Sepulkralkultur.
Ein anderer Trend findet in der privaten Sepulkralkultur statt. Der ist einerseits dem Datenschutz und andererseits den modernen Lebensumständen geschuldet. Den Anfang findet man in anonymen Traueranzeigen. Deren Sinn erschließt sich mir nicht wirklich.
Die inzwischen bekannten Bestattungsmöglichkeiten außerhalb von planungsrechtlich gestatteten Friedhöfen zeigen, dass die strenge deutsche Friedhofspflicht aufgeweicht ist. Die letzte Ruhestätte und das Gedenken, wird nun anders gesehen. Es wird nicht nur öffentlich gut sichtbar auf einem Friedhof bestattet, es wird auch „unsichtbar“ bestattet. Eine Möglichkeit dafür ist die europäische Form der Luftbestattung. Dabei wird die Asche der verstorbenen Person im Wind verstreut. Das ist zum Beispiel in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern möglich. Das dazugehörige Bestattungsrecht ist allerdings ständigen Veränderungen unterworfen.
Hinzu kommt das mittlerweile weniger übliche formale öffentliche Gedenken an die Verstorbenen. Dieser Trend wird durch die sozialen gesellschaftlichen Verhältnisse begünstigt. Dabei werden private Denkmäler zur Demonstration von Trauer nicht mehr benötigt. Den radikalsten praktischen Zweck haben Luft- und Seebestattungen und die Waldbestattungen. Hier ist keine Grabpflege erforderlich. Aus Friedhöfen anonyme Gräber oder Gräber mit liegenden Grabsteinen ohne Einfassung lassen sich auch noch einfach handhaben. Die sind pflegeleicht, weil der behördliche Rasentraktor darüberfahren kann. Eingefasste Gräber müssen gepflegt werden. Dafür sind die Pächter des Grabgrundstücks zuständig und deren Beauftragte, die Grabpflegefirmen. Das moderne Leben entfernt sich auf diese Weise von der bisherigen Grabkultur. Hinzu kommt, wegen der Lebensweise kann man die Gräber nicht immer ohne erheblichen Aufwand besuchen. Ein Beispiel zeigt sich bei „meinen“ Gräbern. Um die einmal jährlich zum jeweiligen Geburtstag oder Sterbetag zu besuchen wären 3100 Kilometer zu fahren. Damit ist ein Aufwand verbunden, den man altersbedingt irgendwann nicht mehr bewältigt. Dann müssen andere die pflichtgemäße Grabpflege übernehmen und die Gräber sind möglicherweise verlassen. Deshalb bieten sich pflegeleichte Gräber mit wenig Folgekosten an.
Eine Kombination aus öffentlich-rechtlicher und privater Sepulkralkultur wird von Friedhöfen mit horizontalen und vertikalen Platzproblemen praktiziert. Hier fand sich ein anderer Trend. Man kann dort eine Grabsteinpatenschaft für besondere Grabsteine übernehmen. Damit erwirbt man die Berechtigung, vor diesem Grabstein eine Person in einer Urne zu bestatten und einen kleineren Grabstein aufzustellen. Mit diesen Doppeldenkmälern werden die alten Grabsteine erhalten und das neue Grab befindet sich in einer schönen bewachsenen Friedhofsumgebung. Für den Grabbesuch und die Grabdatenbank ein Glücksfall.
Die öffentlich-rechtliche und private Sepulkralkultur wirkt so auf die Datenerfassung. Die verschiedenen Sichtweisen der Behörden auf Gräber macht es den Familiengeschichtsforschern bei der Aufnahme von Gräbern in eine Datenbank schwer. Wie eingangs erwähnt, sind eventuell Anträge für die Fotogenehmigung zu stellen. Zugang zu Friedhofsinformationen gibt es nur während der Dienstzeiten. Gebührenzahlungen können fällig werden. Außerdem weckt man mit dem offiziellen Ansinnen der Grabdatenerfassung „schlafende Hunde“, Misstrauen und prophylaktische Ablehnung. Dann ist Überzeugungskraft erforderlich, um klar zu machen, dass man ehrenamtlich für eine gemeinnützige kostenlos nutzbare Datenbank tätig ist.
Nebenher kann die Erfassungsarbeit auf dem Friedhof anecken. Zum Beispiel wenn man mit der archäologischen Methode des Abreibens von verwitterten Grabsteinen auf Papier tätig ist, oder wenn man auffälliges technisches Gerät für gute Fotos hat. Auch ungewöhnliche Friedhofsbesuchszeiten wegen der Fotolichtverhältnisse können zum Behördeneingreifen führen. Einen Grabstein für das Foto sauber machen, geht oft rechtlich nicht, weil das teilweise nur zugelassene Firmen tun dürfen. Auch dieses kann hinderlich für die Erfassung von noch vorhandenen Gräbern aus der Zeit des Ersten Weltkriegs sein. Um unbequemen Behördenkontakten bei der Graberfassung aus dem Weg zu gehen spielte ich schon mit dem Gedanken, diese Tätigkeit mit einer auffälligen Fake-Trauergesellschaft durchzuführen. Solche Truppen könnten die Gräber eines ganzen Friedhofs schneller erfassen und fallen mit ihrem tatsächlichen Tun nicht auf. In Hamburg-Ohlsdorf oder Hauptfriedhof Stettin, polnisch Cmentarz Centralny w Szczecinie hätte man allerdings monatelang zu tun.
Wir Deutschen machen es uns mit den Friedhöfen nicht leicht.
Trotzdem sollte man aus ahnenforscherischer Sicht einer schnellen Bestandsaufnahme aller Gräber auf allen Friedhöfen zustimmen. Eine solche Erfassung ist keinesfalls pietätlos.