Friedrich der Große und die Pommern
Friedrich der Große als Kronprinz um 1740 Antoine Pesne [Public domain or Public domain], via Wikimedia CommonsVor 29 Jahren vollzog sich eine der bedeutendsten Wandlungen der Weltgeschichte. Welch eine Wendung durch Gottes Fügung! Mühsam aus kleinen Anfängen hat sich das unansehnliche Preußen zu seiner jetzigen Machtstellung durchgerungen, und seine glorreiche Dynastie ist vorgeschritten vom Burggrafentum zum Kurhut, vom Kurhut zum Königtum und vom Königtum zur Kaiserkrone. Und man kann sagen, Fürst und Volk waren einander wert. Mit Dank haben es die Hohenzollern anerkannt, daß sie über eine tüchtige, opferbereite und überaus treue Nation das Regiment führen.
Unter diesen verschiedenen Äußerungen fürstlicher Anerkennung und Dankbarkeit ist eine der merkwürdigsten die Stelle in dem Testamente Friedrichs des Großen, worin er voraus vor den anderen Bruderstämmen seiner Monarchie dem Pommernvolke den Preis der Tüchtigkeit und Anhänglichkeit zuerkennt. Er macht seine Nachfolger darauf aufmerksam, daß sie sich vorzugsweise auf die Pommern verlassen und stützen sollen. Mündliche Aeußerungen des Königs ergänzen noch dieses Urteil ; er liebe die Pommern wie seine Brüder, und der Adel des Landes sei ihm ganz unentbehrlich. Schon zu Friedrichs Zeit war der Prinz von Preußen, der nachmalige König Friedrich Wilhelm II., Statthalter der Provinz, und diese auffällige Ehrung des Landes können wir auch in unserem Jahrhundert beobachten, Kaiser Wilhelm I. und sein Sohn Friedrich sind lange Jahre hindurch Gouverneure der Provinz Pommern gewesen.
Diese Thatsache, daß Pommern Friedrich dem Großen so ans Herz gewachsen war, hat zunächst etwas Überraschendes. Die Pommern sind im 14. und 15. Jahrhundert erbitterte Feinde der Brandenburger gewesen, die Stettiner trotzen hartnäckig dem großen Kurfürsten, weil sie, streng lutherisch, ihn als Kalvinisten besonders fürchteten, und so ist viel Blut in jahrhundertelanger Kämpfen geflossen, aber auch hier scheint die Regel gegolten zu haben, daß Blut ein fester Kitt sei. Weiter besaß Friedrich der Große gar nicht einmal das ganze Pommern. Nur Hinterpommern war schon längere Zeit im Besitz der Hohenzollern, Vorpommern nannte sich bis zur Peene erst seit 1720 preußisch, und Wolgast und selbst Peenedamm bei Anklam waren schwedisch. Man sagte also mit vollem Rechte, der preußische Fluß Oder erscheine wie ein Riese mit gelähmtem Arme.
Zudem war Pommern arm und in dieser Hinsicht im übrigen Deutschland besonders verschrien. Die Kartoffel, die pommersche Banane, wie Bismarck sie nannte, wurde erst in der letzten Regierungszeit Friedrichs des Großen zu bauen angefangen, und auch im Dreißigjährigen Kriege gestanden die Soldaten der kaiserlichen Einquartierung es seufzend, daß Pommern ein gar mächtiges Land sei, denn es vermöge ohne Schlacht und Blutvergießen große Heere zu vernichten und zwar durch Hunger und völligen Mangel an Lebensmitteln. Man muß bei dieser starken Übertreibung das berücksichtigen, daß die süddeutschen und außerdeutschen Soldaten sich durchaus nicht mit den pommerschen Nationalgerichten befreunden konnten. Der alte Chronist Cosmus v. Simmern erwähnt, daß die pommerschen Knackwürste und harten Knapkäse einem schottischen und englischen Heere beinahe den Tod gebracht hätten. Den Fremden war gewiß das noch heute übliche Wiegenliedchen ganz unverständlich, worin Jamund (bei Köslin) als Inbegriff irdischer Glückseligkeit erscheint:
Hopp hopp na Jame
Wo de rike Bure wähne
Wo se de Botter mit dem Laepel aete
Und dat Gild mit dem Schaepel mete
mehr leuchtete ihnen das uralte Kinderliedchen ein:
Maikäferchen fliege,
Dein Vater ist im Kriege,
Pommerland ist abgebrannt.
Der Ruf der Armut und klimatischen Rauhigkeit brachte es dann weiter mit sich, daß man sich im übrigen Deutschland daran gewöhnte, die Bewohner Pommerns als besonders ungefüge und absonderlich anzusehen. Schon Moscherosch erwähnt die zeitgenössische Stichelrede, daß die Pommern in ihrer Eßgier ein Pflugrad für eine Brezel verschlungen hätten, und am Hofe Kaiser Rudolfs II. in Wien bildete der zum Gespött und zur Belustigung verschriebene pommersche Junker in seiner urwüchsigen Unmanierlichkeit den Gegenstand berechtigten Entsetzens.
Daß bei einer solchen verbreiteten Mißachtung von Land und Leuten die Vorliebe Friedrichs für Pommern zunächst etwas Befremdliches hat, leuchtet ein. Wir werden nachweisen müssen, daß Friedrich der Große sein Pommerland zu gut kannte, um sich durch diese landläufigen Sticheleien beirren zu lassen. Wir werden nachweisen, daß diese abfälligen Urteile sehr oberflächlich erscheinen und daß bei näherem Zusehen und bei eingehender Prüfung wir einem durchaus gesunden und gediegenen Kerne in Volkstum und Landschaft begegnen. Kurzum, wir werden nachweisen, daß echt charakteristische Tugenden und Vorzüge das Pommervolk dem großen Könige besonders lieb und wert machten.
Die charakteristische Eigentümlichkeit der Derbheit, die im übrigen Deutschland hundertfach vergrößert und mißverstanden als unmanierliche Grobheit ausgelegt wurde, entbehrte doch nicht einer gewissen Klugheit und Pfiffigkeit und ließ sich vielmehr in der Weise deuten, daß man sagen mußte, die Pommern hätten Haare auf den Zähnen. Diese Mischung von Grobheit und Mutterwitz prägt sich recht in einer scherzhaften Begebenheit aus, die sich am Hofe König Friedrich Wilhelms I. zutrug. Mitglied des Tabakkollegiums war der pommersche Edelmann General von Flauß, mit dem der König öfter Toccadille spielte, ein Brettspiel, bei dem gewürfelt wird. Als der König einst sagte, es sei nicht schicklich, ohne Einsatz wie die Schneider zu spielen, und die Partie in Zukunft nur um einen Groschen zu spielen erklärte, erwiderte Flauß : Dat lot ick schönst bliwen. Ew. Majestät werfen mi bynah de Würfel an den Kop, da wi umsonst spele; wat würde et geben, wenn ick mit Se um Geld spele sollte!– Auch der aus der Rheingegend stammende Minister von Stein erklärte, daß ihm diese urwüchsige Derbheit vollkommen recht wäre, und daß die Pommern wahre Teufelskerle seien. Er pflegte zum Belege für seine Behauptung immer an seinen pommerschen Kutscher zu erinnern, der ihm einstmals sich überaus nützlich erwiesen hätte. Als der Minister 1813 aus einem Thore fuhr, geriet der Wagen sogleich in einen langen Zug russischer
Brustbild des Staatsministers Karl Freiherr vom und zum Stein 1804Artillerie und Kürassiere. Da hätten Sie meinen Pommer sehen sollen, sagte Stein; er gebärdete sich, als wenn er Kaiser und Könige im Wagen habe, und rief mit einer Stentorstimme, die Tote aus dem Grabe hätte erwecken können: man drist! man drist! so daß ihm alles entsetzt auswich. Und als drittes Beispiel für diese komisch wirkende Grobheit kann wohl die Antwort des pommerschen Grenadiers nach der Schlacht bei Wartenburg gelten. Als der General York voller Rührung über die bewiesene Tapferkeit vor einem pommerschen Regiment sein Haupt entblößte und ergriffen sagte: ich bin auch ein Pommer, Kinder – rief ein alter Soldat: na nu will jeder Pommer sind!
Eine zweite nationale Tugend des Pommervolkes ist die Zähigkeit. Das Horazische tenax propositi erscheint hier sogar oft als Eigensinn, um nicht zu sagen Rechthaberei. Als Friedrich der Große mit seiner berühmten Justizreform begann, war der Änderung des Prozeßwerkes am meisten gerade die Provinz Pommern benötigt, die man schlechthin als provincia litigosa, ein streit- und prozeßsüchtiges Land, bezeichnen mußte.
Die Familie Schwerin hat mit dem preußischen Staate 94 Jahre um das Gut Spantekow prozessiert – was man wohl als ein Unikum in der Zähigkeit des Rechtlichkeitsgefühls bezeichnen kann. Leider hat ja Jahrzehnte lang Pommern, namentlich Hinterpommern, das größte Kontingent zur Auswanderermasse nach Amerika gestellt, aber mit derselben Zähigkeit und Genügsamkeit haben sich die pommerschen Landleute dort am westlichen Ufer des Michigansees zusammengesiedelt, und das pommersche Platt schlägt in Milwaukee ganz heimatlich an unser Ohr. Diese Zähigkeit und Widerstands kraft des pommerschen Bürgertums hat die Belagerungen pommerscher Städte weitaus berühmt gemacht in der Geschichte. Stralsund 1628, Stettin 1677 und endlich das kleine Kolberg haben denselben zähen Widerstand gezeigt wie einst Karthago den Römern und Saragossa einem Napoleon gegenüber. Und so wie die Städte zeigten auch die Landstände den zähen, opferbereiten Mut, und gerade Friedrich der Große hat diese stille, entsagungsvolle Kraft und That des Landes im siebenjährigen Kriege recht schätzen gelernt. Allen voran bewilligten die pommerschen Stände 1757 dem Könige in patriotischer Weise Landmilizen und Provinzial Husaren.
Mit der Zähigkeit hängt auf das innigste die Tapferkeit zusammen. Die Pommern waren Friedrichs beste Soldaten, die wahren Schlachtenbahnbrecher, wie Stein sagte. Schon in den ersten schlesischen Kriegen hatte sich das Kösliner Regiment von Billerbeck ausgezeichnet. Die Schlacht bei Soor galt als Ruhmestitel in seiner Regimentsgeschichte, und die Blauröcke mit ihren weißen Klappen, den gelben Knöpfen und weißen Westen haben sich auch später oft hervorgethan, so namentlich gegen Laudon. Ebensolchen Ruhm erwarb sich 1760 das pommersche Regiment von Manteuffel. Laudon ließ es, als es von Neisse aufgebrochen war und allein seine Straße hinzog, von 4 Kavallerie-Regimentern überfallen und dem Regiments-Kommandeur die Aufforderung zugehen, sich gefangen zu geben; sonst würde er sie alle niederhauen lassen. Der Befehlshaber erwiderte, der Parlamentär möchte sich von den Soldaten selbst die Antwort holen, nahm ihn mit vor die Front und teilte den Soldaten das Begehren Laudons in plattdeutscher Sprache mit. In echt pommerscher, derber Weise erfolgte eine höhnisch abweisende Antwort, und durch ganze zwei Meilen wehrten sich die Wackeren, die nun vorwärts marschierten, gegen die überlegene feindliche Reiterei. Endlich gab Laudon den Versuch auf, das Regiment weiter zu belästigen. Rührend ist ferner die Unterhaltung des Königs mit dem pommerschen Regiment in der Nacht vor der entscheidungsvollen Schlacht bei Leuthen 1757. Der König redete die Krieger an: nun Kinder, wie wird‘s aussehen? Der Feind ist noch einmal so stark als wir! Das laß nur gut sein, erscholl es zurück, es sind doch keine Pommern darunter. Du weißt ja wohl, was die können. Freilich weiß ich das, erwiderte der König, sonst könnte ich die Schlacht nicht liefern. Nun schlaft wohl, morgen haben wir also den Feind geschlagen, oder wir sind alle tot. Ja wohl, wiederholte das Regiment, tot oder die Feinde geschlagen! – Nach der Schlacht bei Roßbach war ein pommerscher Dragoner nahe daran, den französischen Prinzen Soubise gefangen zu nehmen. Er verfolgte ihn hitzig, denn er wollte ihn gern lebendig fangen, und schlug ihn braun und blau. Nur die Schnelligkeit seines Rosses rettete den prahlerischen Heerführer vor dem ergrimmten Pommern.
Die leuchtendsten Beispiele aber der Tapferkeit und Todesverachtung gewähren die beiden hohen pommerschen Offiziere des siebenjährigen Krieges, der Generalfeldmarschall Schwerin und der Major Kleist. Schwerin war aus bitterer Armut bis zur höchsten Staffel gestiegen. Als sein Vater ihn in der Jugend nach Brabant schickte, damit er sein Glück versuchte, gab er ihm einen Thaler und eine Ohrfeige mit der Weisung, dies leide von keinem weiter. Den Heldentod fand der Feldmarschall in der Schlacht von Prag 1757. Als die Truppen zu weichen begannen, entriß er dem Fahnenjunker seines Regiments die Fahne, hob sie empor und rief: Wer ein braver Kerl ist, folge mir! Die Truppen drangen von neuem vor, aber nicht lange, so traf ein Kartätschenschuß den Feldherrn, so daß er tot vom Pferde sank. Der eine Schwerin, sagte später der König, ist allein 10000 Mann wert, und als Prinz Heinrich sich den Sarg des Helden noch einmal öffnen ließ, entblößte er ehrerbietigst das Haupt. – Der zweite tapfere Offizier ist Ewald von Kleist, unser pommerscher Dichter, das echte Kind unserer ‚heimatlichen Fluren, denn er ist in Zewelin geboren. Ihm war es beschieden, das Ende zu finden, das er begeistert in seinen Liedern besungen und ersehnt hatte:
Vielleicht sterb‘ einst auch ich
den Tod für’s Vaterland!
Dieser Wunsch wurde ihm in der Schlacht von Kunersdorf erfüllt. Er führte als Major sein Bataillon mutvoll gegen den Feind und eroberte drei Batterien. Da zerschmettert ihm eine Kugel die rechte Hand, aber unverzagt nimmt er den Degen in die linke und führt seine Soldaten gegen die vierte Batterie. Endlich streckt ein Kartätschenschuß den Helden zu Boden. In Frankfurt wurde er unter der ehrendsten Teilnahme begraben, und ein russischer Offizier legte selbst seinen Degen auf den Sarg des braven Feindes. Überhaupt bedeckte sich in diesem mörderischen Kriege der Adel des Landes mit Ruhm. Sowohl die aus Deutschland eingewanderten Geschlechter wie die Blankenburg, Heyden, Horn, Platen, Winterfeld, als auch die einheimischen Familien wendischen Ursprungs wie die Bork, Glasenapp, Wedell, Zitzewitz und Puttkamer waren zahlreich in dem preußischen Heere Friedrichs des Großen vertreten, und man rechnete nach, daß der Krieg dem einzigen Geschlechte Kleist 54 Opfer gekostet hätte. Allerdings war das Ergebnis der langen Kriegsgreuel für Hinterpommern auch schrecklich genug, die Volksmenge hatte um 72000 Menschen abgenommen (2), weite Strecken des Landes waren zur Einöde geworden, und der Scheffel Getreide hatte unmittelbar nach dem Kriege den vierfachen Preis wie vordem.
Leid und Freude halten nun alle die Jahre hindurch zwischen Fürst und Volk ein festes, inniges Band geschlungen, und so entwickelte sich endlich bei den Pommern die letzte und echteste Eigenschaft – die Treue. Zwischen Friedrich dem Großen und seinen Pommern bestand eine wirkliche, aufrichtige Herzensgemeinschaft, und hier traf es zu, was einst ein Witzling über den Charakter der Pommern geäußert hatte: die Pommern sind wie ihre großen Kachelöfen: sie werden langsam warm, dann aber hält es auch vor. Wie hatte aber auch der große König mit seinen Pommern gescherzt und traulich verkehrt und ihre kleinen Neckereien gutmütig über sich ergehen lassen. Fritz und das trauliche Du war die Anrede seiner Schlachtenkinder, die für ihn durchs Feuer gingen. Einst rief er den mühsam und gebeugt auf dem Marsche Daher ziehenden zu: Grad ut, Kinder, Grad ut! und lustig klang es zu rück: Fritz oock grad ut, unn de Stiebeln in die Höh gezogen! Der Pommer war stolz auf seinen alten Fritz, und ein typisches Beispiel jener unentwegten Treue liefert uns nach seiner schlichten Erzählung Nettelbeck im fernen Lissabon 1780. Als er bekümmerten Herzens in der wildfremden Stadt umherirrt und zu seinem größten Staunen endlich in einem Wachsfigurenkabinett das Bild seines Königs findet, da wallt es in seinem Herzen auf, er stürzt dem Bild zu Füßen und begeistert ruft er den umstehenden Portugiesen zu: ja ich bin auch ein Preuße! – Vom alten Fritz und seinem treuen Pommernlande galt recht das Goethesche Wort:
Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
ist eingeweiht, nach hundert Jahren
klingt sein Wort und seine That den Enkeln wieder!
Denn als Preußens König schon längst zu seinen Vätern versammelt war, begannen geschäftig Sage und Dichtung ihr Spiel zu treiben, und es erscheint fast unglaublich, in wie zahlreichen Sagen und schwankhaften Erzählungen der Alte Fritz hier in Pommern weiter lebt. So wie einst die Kaiser Karl der Große und Rudolf von Habsburg den Deutschen fest ans Herz gewachsen waren und die Sage sich in fruchtbarster Weise dieser Gestalten bemächtigt hatte, so ist die Erinnerung an Friedrich den Einzigen in allen den kleinen pommerschen Dörfern lebendig geblieben, und der Alte Fritz gehört wie ein guter Freund und hilfsbereiter Schutzgeist in den engen, kleinen Gedankenkreis dieser abgeschiedenen und weltfremden Dorfleute.
Friedrich der Große war ja ein in seltenem Grade gesegneter Wohlthäter seiner Monarchie, aber seine Regententhätigkeit hatte doch insofern etwas Einseitiges, als er vorzugsweise den Landbau zu heben suchte und den wirtschaftlichen Aufschwung seiner binnenländischen Provinzen berücksichtigte. Hier hat er Unsterbliches geschaffen, gerade Pommern liefert den besten Beweis für die treue Fürsorge des Königs. Durch Entwässerung der Moräste, Tieferlegen der Seen, Stromregulierungen gewann er, wie man sagte, mitten im Frieden ganze Provinzen, im Ganzen vielleicht 60-80 Qu.M., und in die verödeten Landstriche zog er mit unablässigem, emsigstem Fleiß Kolonisten, durch die er überall die Bevölkerungsziffer hob. Auf den Odländereien des Gollens legte er z. B. Schwerinsthal und Meyringen an, um die Entwässerung des Maduesees, der Leba und der Ihna führte er „einen in aller Stille geschlagenen siebenjährigen Krieg“, und mit vollem Recht erwarb er sich schließlich den Ehrentitel des „Bauernkönigs“. Ich behaupte, diese Regententhätigkeit war doch überwiegend den binnenländischen Interessen zugewandt, und die Sorge des Königs für die Hebung der überseeischen Handelsbewegung trat dagegen etwas in den Hintergrund. Man erkennt auch hier Friedrichs weitschauenden Blick, wie in der Gründung einer Handelsgesellschaft für Bengalen in Ostfriesland und in der Anlage von Swinemünde, aber der große Krieg, den er führte, verdarb hier manche Pläne und Unternehmungen und ließ das Nächstliegende zuerst berücksichtigen. Damit war es Friedrich dem Großen verwehrt, von einer neuen, hochwichtigen Tugend und Kraft des Pommernvolkes ausgiebigen Gebrauch zu machen, nämlich von seiner besonderen Anstelligkeit zum Seewesen, der die Pommern, fast wie in dem Goetheschen „Egmont“ die Holländer, als beidlebig erscheinen läßt, so daß es ihnen „im Wasser wohl wie den Fröschen ist.“ Zudem kam erst 1815 der letzte Rest von Pommern an Preußen, die eigentliche Heimat der Seeleute und das Kernland der mittelalterlichen Hansa, also die ganze Küste von Wolgast, Greifswald bis Stralsund mit Rügen, Zingst und dem Dars, wo die Leute alle Fischer und Schiffer sind und dem Schutzheiligen der Seeleute Nicolas zulieb meist Klas heißen, so daß Reuter über diese Fülle der Klasnamen scherzen konnte:
up Fischland is’t en wohren Spaß
Da heiten s‘ alltausamen Klas.
Klas, segg mal, Klas, so frägt de Ein,
Klas, hest Du minen Klas nicht seihn. ,
Ja, antwurt denn dei Anne, Klas,
Dien Klas dei güng mit mienen Klas
Tausammen noch Klas Klasen sienen Klas.
Und nun begann der nennenswertere Anteil Pommerns am Handel und Weltverkehr. Während noch 1849 eine dänische Fregatte genügte, um den Handel Stettins völlig zu lähmen, ist jetzt unsere schöne Flotte bereit, aller Befehdung des Seeverkehrs zu wehren. Und wie hat sich Umfang und Extensität für den pommerschen Schiffsverkehr erweitert. Den mittelalterlichen Hansegenossen war die Ostsee der klassische Schauplatz ihrer Beziehungen, und Binnenmeer und Küstenfahrt nahmen ausschließlich die nautische Kraft des Pommern in Anspruch. Jetzt durchstreift der pommersche Schiffer das Weltmeer, am Bismarckarchipel bei NeuGuinea grüßt ihn eine deutsche Kolonie, die zu Ehren seiner Heimat Neupommern genannt ist, und in Kiautschou mag manch pommerscher Seebär über ihm nicht zusagende Speisen wettern, wie zu Hause bei Köslin: das sind ja Klackerkliben und Bullersupp. Nur eine Fähigkeit wollte der Alte Fritz den Pommern nicht zuerkennen, das Talent zum Staatsmann (3). Das nimmt eigentlich wunder, da doch sein treuester und bester Minister, der eigentliche Bismarck
Porträt Ewald Friedrich Graf von HertzbergFriedrichs des Großen, Hertzberg, ein geborener Pommer war, und in unserm Jahrhundert kann Pommern doch auch in seinem Landeskinde, dem Generalpostmeister Stephan, einen der geistvollsten und erfolgreichsten Beamten aufweisen. Hoffen wir, daß die inzwischen aufblühenden Gymnasien, von deren bildender Kraft Friedrich der Große noch keine Ahnung hatte, mehr und mehr daran arbeiten werden, an der pommerschen Jugend auch diesen Mangel zu beseitigen. Dann wird unser Kaiser auf seine Pommern in allen Stücken zählen können, und Pommernland wird ein Edelstein in seiner Krone bleiben.
Quelle: Pommersche Geschichtsbilder, Rudolf Hanncke, Stettin 1899, Zuerst abgedruckt als Vortrag in Nationalzeitung 1898, Nr. 531
(2) Die Krankheit der Blattern und Pocken war nach Pommern übertragen.
(3)„Sie passen wegen ihrer Offenherzigkeit nicht in die Politik hinein.“
Ausstellung zum 300. Geburtstag Friedrichs des Großen „Die Bücher des Königs“
Staatsbibliothek Berlin (Ausstellungsraum in der Potsdamer Str. 33)
Die Ausstellung läuft vom 8. bis 18. Februar (montags bis samstags jeweils 11 bis 19 Uhr)