Zur Einführung eines neuen Projektes zur Scharfrichterforschung im Verein.

Als ich in Standesamtunterlagen im Archiv in Köslin auf die Sterbeurkunde eines Scharfrichtergehilfen (Nr. 14 1892 StA Schulzenhagen) stieß, der im Wonnebach ertrunken war (welche Ironie des Schicksals), wunderte ich mich, dass es diesen Beruf um die Zeit noch gab, bei weiteren Recherchen musste ich aber feststellen, dass die Todesstrafe in Deutschland erst durch das Grundgesetz 1949 abgeschafft wurde.

Tod Henning
StA Schulzenhagen/Köslin, 20. April 1892
…daß der Scharfrichtergehilfe Robert Henning, 54 Jahre alt, evangelischer Religion, wohnhaft zu Rügenwalde, geboren zu Magdeburg, verheiratet gewesen mit Auguste, geb. Boje, Sohn des Scharfrichtergehilfen (Vorname unbekannt) Henning und dessen Ehefrau
Johanne geb. Rhakowsky zu Lassehne im Wonnebach am 16.3.1891 todt aufgefunden worden ist. …..

So wurde z.B. im Februar 1908 in Stettin der Arbeiter Friedrich Ziegan hingerichtet. Er hatte beim Wildern den Förster Krüger aus Eggesin ermordet, und war deswegen am 28. September 1907 vom Schwurgericht in Stettin zum Tode verurteilt worden. Kaiser Wilhelm II. verzichtete am 12. Februar auf sein Gnadenrecht und Friedrich Ziegan wurde am 27. Februar 1908 um 7 Uhr morgens auf dem Hof des Gerichtsgefängnisses Stettin durch den Scharfrichter Lorenz Schwietz mit dem Handbeil enthauptet (( http://de.wikipedia.org/wiki/Lorenz_Schwietz)). Derselbe soll auch 1905 in Schneidemühl eine junge Mutter hingerichtet haben, die kurz zuvor in der Todeszelle ein Kind entbunden hatte. ((Zum Henker mit ihm, Stefan Appelius, Spiegel online 19.1.2010 ))

Parisien
Le Petit Parisien. Supplément littéraire illustré (Paris) 3.4.1891 über http://gallica.bnf.fr
Zu sehen ist der aus Magdeburg angereiste Scharfrichter Reindel bei der Hinrichtung von Friedrich Klausien am 2. April 1891. Photographische Zeichnung von Mary Evans. Abbildungsidee durch M.Blazek http://www.hmwebspace.de/blazek/?p=1135

 

„Das Ansehen eines Scharfrichters, der Übles verrichten mußte, bestand meist in Verachtung. Er besaß keine bürgerliche Ehre, wurde nicht nur schlecht ((Ordnung oder Sammlung derer in dem k. Preußischen Herzogtum Pommern und Fürstentum Camin bis zu Ende des 1747. Jahres publicirten Edicten, Mandaten und Rescripten (Google eBook))) und zögernd bezahlt, sondern auch noch mit Ausschluß aus der Gesellschaft bestraft. In Handwerksorganisationen wurde er nicht aufgenommen. Vor allem galt er als unehrlich und weil jede Berührung mit ihm unehrlich machte, wich man ihm aus. Es war ihm nicht gestattet, innerhalb der Ummauerung der Stadt zu wohnen, ein Wirtshaus konnte er nur unter besonderen Umständen aufsuchen. Sein Platz in der Kirche –  wenn er überhaupt einen hatte – war abgesondert von den anderen. Abendmahl erhielt er – wenn überhaupt-als Letzter. Sein Vieh durfte er nicht in der Gemeindeherde hüten lassen. Durch seine Kleidung musste er sich für jedermann kenntlich machen. In den Anfängen trug er eine blaue abgelegte Militäruniform, bis der König von Preußen 1727 mit Erneuerung 1738 eine neue Kleiderordnung für Scharfrichter erließ.(( Erneuertes, geschärftes und extendirtes Edict, daß von nun an, alle Scharfrichter, Büttel und dergleichen dazu gehöriges Gesindel, sich in grau kleiden, keinesweges aber jemahlen Kleidung von blauer oder andern Farben, und zwar bey Straffe der Karre tragen sollen : De Dato Berlin, den 24ten Julii 1738 / [Fr. Wilhelm] )) Es war dies eine dunkelgraue Kleidung, dazu ein roter, spitzer Hut. Das Tragen eines Degens,  vorher wohl üblich, wurde nun verboten. Heiraten waren fast nur in den eigenen Kreisen möglich, so dass es zu regelrechten Scharfrichter-Dynastien kam. Reisende und stellensuchende Scharfrichtersöhne zogen auf Pferden durchs Land, bedingt durch kinderreiche Familien, in denen die Söhne den Beruf des Vaters ergriffen, bzw. ergreifen mussten, weil sie in einem anderen Beruf nicht angenommen wurden.“

Die Kenntnisse des menschlichen Körpers befähigten den Henker zur Heilung von Wunden und Krankheiten, die nun von den Einwohnern angenommen wurden. Die aufkommende Zunft der Barbiere und Chirurgen führte um diesen Tatbestand auch Streitigkeiten, z.B. 1708 als entschieden wurde, dass Scharfrichter Beinbrüche kurieren dürfen. ((Corpus Constitutionum Marchicarum, Oder Königl. Preußis. Und Churfürstl. Brandenburgische in der Chur- und Marck Brandenburg, auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, Edicta, Mandata, Rescripta etc: Von Zeiten Friedrichs I. Churfürstens zu Brandenburg, etc. Biß ietzo unter der Regierung Friderich Wilhelms Königs in Preussen etc. Ad annum 1736. Inclusive. Von Policey-, Hochzeit-, Kindtauffen-, Begräbniß- und Trauer-, Kleider- auch Feuer-, Gassen- und andern zur Policey gehörigen Ordnungen … (Google eBook) Mylius 1740 )) Der Stettiner Scharfrichter Martin Hennings soll eine sich anbahnende Rückgratverkrümmung der Prinzessin Sophie Auguste von Anhalt-Zerbst. nachmals Zarin Katharina II, kuriert haben.

Neben den Hinrichtungen mit dem Schwert, dem Rade, dem Feuer, der Pfählung. der Sackung oder dem Galgen u.a. grausamen „Methoden“ gehörte zu den  Aufgaben des Scharfrichters auch die Kloakenreinigung, die Abdeckerei, die Aufsicht über Dirnen und ganz besonders die Folter. Ab 1740 durfte die Folter allerdings nur noch bei Landesverrat und größeren Mordtaten angewendet werden.

 

Auschreibung 1720
Auschreibung 1720

Mit den Reichsgesetzen der Jahre 1731 und 1772 änderte sich der Stand des Scharfrichters im Ansehen. Ab 1811 wurde in Preußen die Hinrichtung mit dem Schwert abgeschafft und durch Handbeil und Richtblock ersetzt. ((Amtsblatt der Königlichen Regierung von Pommern: 1811 (Google eBook) )) Ab 1819 galt in Preußen der Scharfrichter als dem bürgerlichen Stand zugehörig. Nun konnte ein Scharfrichter auch als Taufzeuge benannt werden.

Je mehr man in die Materie einsteigt, so faszinierender ist dieser Kapitel der Geschichte. Vielleicht ergeht es ihnen ja auch mal so wie Helmut Belthle vom Arbeitskreis Scharfrichterforschung: »Bei einer Versammlung breitete neben mir ein Herr seinen Familienstammbaum aus, von einer Familie namens Rothe. Als ich ›Rothe‹ las, läutete bei mir was, und ich fragte ihn: ›Gibt es in Ihrer Familie einen Verwalter des Klosters Hirsau, der durch Unterschlagung in Ungnade fiel und der 1834 in Calw hingerichtet wurde?‹ Er bejahte verblüfft. Da sagte ich: ›Gestatten, Belthle – mein Vorfahr hat ihn enthauptet. ‹‹ ((Stammbaum der Erkenntnis, Scharfrichter Forschung, Die ZEIT 43/2011))

Ein neues Projekt unseres Vereins befasst sich mit pommerschen Scharfrichtern. Als erster Schritt soll eine Sammlung mit Namen angelegt werden. Unser Mitglied Sabine Möller übernimmt die Koordination. Ein erster Grundstock ist gelegt, sie hat bereits über 100 Namen und Daten gesammelt zu Scharfrichtern aus Treptow/Rega, Cammin, Stolp und Rügenwalde, dazu vereinzelte Angaben aus Bublitz, Köslin, Kolberg, Schlawe und Greifenberg.

Bitte senden sie,  wann immer ihnen Namen und Daten von Scharfrichtern und ihren Gehilfen begegnen, diese an Sabine Moeller: scharfrichter@pommerscher-greif.de Natürlich gibt sie auch Auskünfte aus dem Material.

Quellen: Das Amt ohne Ehre – Scharfrichtereien in den Ostseestädten Treptow, Cammin und Wollin, von Günther Harder und Hans Dieter Wallschläger in
Die Pommersche Zeitung Folge 42 und 45 2001

Weiterführende Hinweise:
Gebührentabelle des Schweriner Scharfrichters Gebhard Eichenfeldt von 1785

Scharfrichter in der Stadt Brandenburg (umfangreiche Grundlagen-Darstellung mit vielen Literaturhinweisen)

Matthias Blazek hat unter „Historische Aufsätze“ etliche seiner interessanten Artikel zu Scharfrichtern veröffentlicht

Aus dem Leben einiger Ueckermünder Scharfrichter

und wenn sie das ganze Thema mal etwas entspannter angehen wollen, kann ich persönlich Ihnen die „Henkerstochter“ Bücher von Oliver Pötzsch empfehlen, der selber von einer Scharfrichterfamilie abstammt.