Tweet vom 20.11.

Diese Nachricht bei Twitter gefällt mir sehr.  Aber ist die Gymnasialbibliothek wirklich gerettet?

Die Gutachter der Stadt Stralsund sind zu dem Ergebnis gelangt, dass  „man den Gesamtwert sicher im hohen sechs- oder sogar sieben­stelligen Bereich ansetzen muss….Weit höher als der materielle Wert ist der ideelle Wert. So enthält die Sammlung zahlreiche Einzelwerke, die für die Geschichte von Stadt und Region von besonderer Bedeutung sind und von denen mit Sicherheit nur wenige Exemplare erhalten sind. Teilweise wird es sich sogar um Unica handeln. „

Untergegangen ist in dem ganzen Trubel aber, dass wir am Tag vorher in bereits abgelaufenen Auktionen zahlreiche Werke aus Stralsund entdeckt haben, den höchsten Preis erzielte wohl ein Kepler-Druck mit  44 000 Euro (Klaus Graf berichtete).  Da sind also jede Menge von diesen so hochwertigen Werken bereits unwiderbringlich verloren.

An Pomeranica z.B. eine pommersche Kirchenchronik von Cramer von 1602 mit der Widmung des Diakons Johannes Germann aus Bergen/Rügen für seinen Sohn, verkauft für 450 Euro.

Widmung von Johannes Germann
Widmung von Johannes Germann aus Bergen in der versteigerten Pommerschen Kirchenchronik mit Stempel, Auktionsbild

Oder die Sechs Bücher vom Alten Pommerlande von Micraeliusvon 1723, verkauft für 370 Euro.

Detail aus Micraelius, Vom alten Pommerlande Auktionsbild
Detail aus Micraelius, Vom alten Pommerlande Auktionsbild

Das sind jetzt nur Beispiele,  bei denen man anhand der Fotos auf der Auktionsseite eine eindeutige Herkunft aus Stralsund nachweisen kann, suchen Sie mal auf der Einstiegsseite des Auktionshauses nach „pommern“: da sehen Sie eine ganze Menge Bände  vom selben Einlieferer Nummer 41. Die Einbände sehen oft ähnlich aus für mich als Laien und die Bücher weisen alle keine Spuren auf von Schimmel oder Wasser auf … (In der Süddeutschen Zeitung vom 19.11. hiess es ja, der Antiquar habe sich „erbarmt“ es hätten sich  „aus manchen Bänden Wassertropfen drücken“ lassen, “ so erbärmlich waren diese aufbewahrt“.  Der Antiquar ist zwar zum Rückkauf bereit, aber (Süddeutsche Zeitung)  : „die Bücher, die Hassold im Sommer kaufte, waren so feucht, dass sie restauriert werden mussten. Dass durch diese Investitionen der Rückkauf weit mehr als doppelt so teuer wird, ist aber nicht das wesentlichste Problem.“ )

Das ist auch wirklich nicht das wesentliche Problem. Die Rosinen sind eh längst in alle Winde verstreut und man kann nur hoffen, dass sich manches wieder einfindet, so wie ein Band, den die Bibliothek in Wolfenbüttel ersteigert hat (ganz unten im Artikel bei Klaus Graf). Erschütternd finde ich auch, was mir Fachleute berichten: Alte Atlanten aus der Bibliothek wurden in Einzelblätter zerlegt und sind so zum wesentlich höheren Preis einzeln auch schon verscherbelt.

Auf ebay läuft der Verkauf übrigens heiter weiter….

Der OB und die Stadt Stralsund kämpfen jetzt um ihre Reputation, gerade auch als Weltkulturerbe. Der OB hat die Archivleiterin vom Dienst suspendiert, das erscheint manchem als Bauernopfer, vielleicht wusste man aber in der Rathausetage wirklich nichts von den Vorgängen im Archiv. Wenn es denn wirklich so war in dieser ominösen Sitzung, wie die FAZ gestern schrieb: “ Der Hauptausschuss hatte im Juni einstimmig der Bitte der Leiterin des Stadtarchivs, Regina Nehmzow, entsprochen, die 6210 Bände der Sammlung verkaufen wollte, weil diese Bücher – aus der Zeit zwischen 1497 bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts – ihrer Ansicht nach „totes Kapital“ darstellen, zudem befinde sich der Bestand „in einem schlechten Zustand“, könnte man den Verkaufbeschluss vielleicht sogar entschuldigen. Sicher ist, dass nicht nur Bücher aus den Jahren bis 1830 verkauft wurden und dass auch schon vor dieser „nichtöffentlichen“ Hauptausschusssitzung im Juni Bestände im Handel auftauchten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen dem Vorwurf der Untreue.

Ich würde mir wünschen, daß die Vorgänge rund um den Verkauf in dieser unseligen Hauptausschusssitzung öffentlich gemacht würden und Frau Nehmzow, die Archivleiterin,  endlich zur Sache befragt werden kann, am besten öffentlich. Falls sie wirklich so falsch geurteilt haben sollte, müsste die Stadt m.E. Anzeige erstatten.

Ich würde mir wünschen, daß eine korrekte Auffangmöglichkeit für Bände geschaffen wird,  die von den privaten Käufern, die von diesen ganzen Hintergründen ja nichts ahnten,  wieder zurückgegeben werden.

Ich würde mir wünschen, daß eine Katalogisierung der Bestände erfolgt und eine Liste der verlorenen Bücher angelegt wird. – (Vermutlich wird sich nie wieder rekonstruieren lassen, was da alles schon weg ist)

Und es muss für eine sachgerechte Aufbewahrung gesorgt werden, notfalls eben nicht mehr in Stralsund. Behandeln  Hundebesitzer ihre Hunde schlecht, nimmt man ihnen diese weg. Und was passiert mit Städten, die ihre Geschichte schlecht behandeln?

Die Gymnasialbibliothek ist noch lange nicht gerettet und wird vermutlich nie wieder komplett aufgestellt werden können. Aber diese Geschichte wird hoffentlich andere Kommunen abschrecken, an ähnliches auch nur zu denken. Den es hat sich eines gezeigt: Der Aufschrei der Empörung von über 3000 Menschen im In-und Ausland, die die Petition bisher unterzeichnet haben, hat einen hohen Stellenwert.

M.Ott