
„Daheim“
Es ist ein stiller Abend; man hört das Rauschen der Ostsee. Das Dorf liegt einsam da, fern von der nächsten Stadt und noch weiter von der Eisenbahn. Wie fast überall in dortiger Gegend hat der Pfarrer außer seinem Dorf noch einige ziemlich entlegene Filiale zu besorgen und sonntäglich zwei Mal, oft drei Mal zu predigen. Es ist eine Patronatsstelle; der Gutsherr, sein Patron, ist ein Freund der Kirche und steht in gutem Vernehmen mit seinem Pastor. Das ist viel werth für den Umgang der Pfarrersleute, aber auch für ihre Wirksamkeit.

aus Gerhard Bronisch – Walter Ohle – Hans Teichmüller, Kreis Bütow, Stettin 1938 (Die Kunst- und Kulturdenkmäler der Provinz Pommern, herausgeg. v. Provinzialverband v. Pommern)
Wegen der Filiale muß der Pfarrer ein Gespann haben; um die Pferde zu ernähren und anderweit zu beschäftigen, muß er Land bebauen. Das gehört zum Pfarrgut, und der Ertrag der Wirthschaft bildet einen Haupttheil seiner Einnahme. Das Pfarrhaus ist zugleich ein Bauernhaus mit Oekonomiegebäuden , mit Kühen und Schafen und was in Pommern nicht fehlen darf , auch mit einer entsprechenden Anzahl Gänse . Da sind Knechte und Mägde nöthig für die Bewirthschaftung, da fehlt denn auch neben der Studierstube die Gesindestube nicht. Aber was Dich vielleicht in einem Pfarrhause am meisten befremden dürfte und was Du gewiß in wenigen Gegenden sonst antreffen möchtest, Du hörst hier im Winter ein gar eigenthümliches Geräusch, welches Dich, wenn Du zu- fällig in einer Fabrikgegend zu Hause bist , an die Heimat mahnt . In der Gesindestube steht ein Webstuhl, und dahinter sitzt die Magd und webt die selbstgesponnene Leinwand und die selbstgezogene Wolle. Nun ist die Leinwand fertig für Hemden und Bettzeug, ja für das Tischchen Deck- Dich das Gebild; 45 Ellen nimmt als ihren Jahreslohn die Magd davon, das Uebrige ist für die Pfarrersleute, für Mann und Frau und die sieben blühenden Kinder. Ja die Pfarrerin hat den Söhnen Jacken, den Töchtern Röcke aus der Leinwand verfertigt; sie hat das starke Tuch dem Drucker gegeben, Du siehst die weißen Pünktchen auf dem schwarzen Grunde und denkst an gedrucktes Baumwollenzeug, aber es ist unverschleißliche selbstgewonnene Leinwand. Die Hausfrau hat die Arbeit des Spinnens und Webens mit kundigem Auge überwacht; nun fängt ihre Hauptarbeit an mit dem nahenden Frühling. Das Gewebe wird an den Bach hinausgetragen, sorgfältig gewaschen und auf dem Grase ausgebreitet. Darnach langt sie die Bütte herbei, um mit dem vollständig aufgelösten Chlorkalk, daß ja kein Schaden geschehe, die Fixbleiche vorzunehmen. In zwei Stunden wirkt das Chemikal bei der fleißigen aufmerksamen Behandlung wahre Wunder; die graue Leinwand kommt schneeweiß, gewaschen im klaren Badwasser, auf die Bleiche und ist nun bald fertig für den Gebrauch und kann die Kisten und Kasten, den Stolz der deutschen Hausfrau, mit selbstgewonnenem Reichthum füllen. Aber auch der Schafschur wolliger Ertrag kommt nur theilweise auf den Markt; erst muß die eigene Familie mit dem Nötigen versehen werden. Der Magd gebührt alljährlich ein neues wollenes Kleid. Auch die Frau Pfarrerin wie die Kinder kleiden sich mit selbstverfertigtem Wollenstoff, ob auch für den Pfarrherrn mitunter ein Schlafrock abfällt, haben wir zufällig nicht erforscht, wir sollten aber doch denken, daß er nicht leer ausgehen werde. Allein woher die schönen Farben an den Stoffen, das Schwarz, das Blau, dasRoth? woher der blendend rothe Besatz an den Kleidchen der Mägdlein? Das alles hat die Pfarrerin mit geschäftiger Hand besorgt; wie sie die Leinwand bleicht, so färbt sie auch die Wolle.
Das ist denn doch ein wundersames Leben in dem Pommerschen Pfarrhaus, so einsam und gemeinsam mit den Dorfbewohnern, so fleißig, so geschickt, so theilnehmend, so vorbildlich. Da steht das Pfarrhaus inmitten der Gemeinde, innig mit allen Interessen der Insassen verwachsen, und der Pfarrer versteht seine Gemeinde, und sie nehmen mit Vertrauen sein Wort auf, wenn er von der Erde zum Himmel den Blick lenkt und Gotteskräfte in das irdische Treiben herniederführt. Es ist viel fromme Sitte im Dorf. Der Sonntag wird streng gefeiert, auch im Sommer in der Erntezeit. Gerne sammeln sich die Leute am Mittwoch Abend zur Bibelstunde, am Sonnabend nach dem Abendgeläut zum liturgischen Gottesdienst. Fast die ganze Gemeinde ist dann beisammen wie am Sonntag; denn wenn am Samstag Abend die Vesperglocke getönt hat, beginnt die Sabbatruhe und alle Arbeit im Dorfe hat ein Ende.
Wer möchte nicht gerne weilen in solcher Stille, wohin aus der Ferne des schäumenden Meeres majestätisches Rauschen ins geöffnete Ohr so geheimnisvoll wohltuend dringt? Et.
Quelle: Daheim – Ein deutsches Familienblatt mit Illustrationen, 1865 , Nummer 39, Seite 579
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Vor 500 Jahren erlaubte Luther den Geistlichen die Ehe. Mehr als eine schöne Sache für die Betroffenen: Das Pfarrhaus wurde zu einer einzigartigen Keimzelle europäischer Kultur.