Altes Radfahrerwissen in Zeitungen finden
Wir freuen uns sehr über diesen Gastbeitrag von Jens Bemme, der auf die Digitalisierung der Norddeutschen Radsportzeitung aufmerksam macht, die auch für Familienforscher wegen der Vielzahl an erwähnten Namen nicht uninteressant ist.
Die Norddeutsche Radsport-Zeitung wurde kürzlich in der UB Greifswald digitalisiert. Ab 1. Juli 1900 erschien die Zeitung jeden Donnerstag in Wollin als „amtliches Organ für den Gau 27 (Stettin) des Deutschen Radfahrer-Bunds sowie zahlreicher anderer Radfahrer-Vereinigungen“. Mit dem „Prosit Neujahr“ wird die Zeitung am 28. Dezember 1901 eingestellt.
Auffällig ist: Bis 30. August 1899 stand der „Pommer. R.F. Verband“ mit seinem Logo im Titel der Zeitung „Radlerin“, später: „Radlerin und Radler“ aus Berlin. Ab 15. September 1899 fehlt es dort. Ein Jahr später startet im Gau 27 die Norddeutsche Radsport-Zeitung. Ist das ein Zufall?
Was wissen wir über den Pommerschen Radfahrer-Verband? 1897 ist der im Jahrbuch der deutschen Radfahrer-Vereine im Abschnitt „Diverse Verbände“ nicht aufgeführt – dafür die „Vereinigung Mecklenburger Radfahrer von 1886“ und andere norddeutsche Verbände in Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck.
Forschungsfragen
Das Wissen der alten Radfahrer in Pommern steckt in der Norddeutsche Radsport-Zeitung: Vereinsnamen und die Namen der Vorstandmitglieder, Namen und Adressen neu im Bund angemeldeter Mitglieder, Berichte und Einladungen zu den Festen und Radrennen. In Wikipedia entstand schnell eine erste Liste der Firmen, die in der Zeitung Werbung schalteten. Auch eine digitale Übersicht aller historischen Radfahrervereine in Pommern wäre wünschenswert.
Das Hotel und Restaurant Genz im „Ostseebad Misdroy“ war um 1900 eine Bundeseinkehrstelle. Gab es weitere, bestehen sie noch heute?
Für welche Fragen bietet die Norddeutsche Radsport-Zeitung neue Antworten? Bei der Erschließung des Radfahrer-Jahrbuch von 1897 entstand in Wikisource eine eigene Kategorie, in der die Jahrbuchseiten mit Radfahrerwissen des Ostseeraums gesammelt sind. Die Norddeutsche Radsport-Zeitung ist ein wertvolles Stück für dieses historisches Puzzle.
Jens Bemme
Wenig ist bisher bekannt über die Anfänge des Radfahrens in Pommern. In einem Artikel im Heimatkalender Grimmen 1930 berichtet Otto Wobbe, dass 1883 der erste Radfahrclub in Greifswald gegründet wurde . Leider hat dieser bei seinem Stiftungsfest unerfreuliche Bekanntschaft mit der Gendarmerie gemacht, wie er in einem Artikel erzählt.
1894 wurde in Stettin der Radfahrerclub „Stern“ gegründet, wie eine Festschrift zum 70jährigen Bestehen (vorhanden im Haus Stettin, Lübeck“) erzählt. Dort, im Haus Stettin, findet sich auch als Deponat unbekannter Herkunft eine Radfahrerkarte „300 Quadratmeilen um Stettin“, vermutlich aus dem Verlag Alexius Kiessling.
In den Stettiner Adressbüchern taucht 1892 erstmal der Begriff „Fahrradhandlungen auf, später dann „Fahrradfabriken und –handlungen“
Bereits 1892 inseriert der Schlossermeister Paul Jankowski „Maschinen – Velocipeden– und Schlittenbau“ und wirbt mit der Vertretung bedeutender englischer und deutscher Firmen für „Velocipedes“ Während die Anzeige von 1892 noch ein Hochrad schmückt ist es 1894 bereits ein Rad in der uns auch heute noch bekannten Form.
Im Schulbericht 1895 der Friedrich-Wilhelms-Schule Stettin wird berichtet, dass „Radfahren immer mehr in Aufnahme“ kommt.
„Best’s practisches Handbuch für Radfahrer und solche, die es werden wollen“ von Adolf Best, einem Stettiner Fahrradhändler, erscheint 1895 in Stettin. In ihm kann man auch mehr zum Deutschen Radsportbund finden; eine Karte der Gau-Einteilung von 1892 ist in Polen digitalisiert worden.
Der bekannteste und vermutlich auch einzige länger bestehende pommersche Fahrradhersteller war Stoewer. Die seit 1858 in Stettin existierende Firma stellte anfänglich Nähmaschinen und später dann Schreibmaschinen und Autos her und begann 1893 mit der Fahrradproduktion.
Die Fahrräder hatten als Markenzeichen das Wappentier der Stadt, den Greif. 1897 waren 1.500 Arbeiter beschäftigt, sie schufen eine Jahresproduktion von 45.000 Nähmaschinen und 13.500 Fahrrädern. 1899 schufen 1.600 Arbeiter 52.000 Nähmaschinen und 21.000 Fahrräder. Insgesamt wurden 1.868.500 Nähmaschinen, 310.000 Fahrräder und 134.600 Schreibmaschinen hergestellt. (http://www.fahrradmonteur.de/Stoewer_Greif) Nach dem Kriegsende wurden die Werksanlagen der Firma Stoewer demontiert.
1938 erwarben die Bielefelder Falter-Werke das Recht auf den Namen „Stoewer’s Greif“ und produzierten fortan Fahrräder unter diesem Namen. In den 50er Jahren wurden auch Mopeds und Leichtmotorräder unter dieser Bezeichnung hergestellt. Das letzte Stoewer’s Greif Fahrrad wurde 1999 in Bielefeld gefertigt. (http://www.stoewer-museum.de/stoewer/bernhstoewer.htm)
Ein weiterer Zweiradhersteller aus Stettin war „Alba“ Diese Firma stellte aber, soweit ich es feststellen konnte, nur Fahrräder mit Hilfsmotor und später Motorräder her und existierte von 1919 bis 1925 (oder 1934?)
In der Nachbarschaft, in der Neumark, gab es dann noch die Neudammer Fahrradfabrik von Georg Mechler und Co. Um 1900 wurde die Libelle beworben mit einem kettenlosen Antrieb, der sich aber nicht durchsetzen konnte. Auch soll diese Firma Räder mit 6 Sitzen hergestellt haben.
Soweit eine erste kurze Reise in die Geschichte des Radfahrens in Pommern. Vieles ist noch unerforscht oder undokumentiert, was können Sie ergänzen?