von Helma v. Gaudecker-Kerstin
„Is dit Johr all wedder Wihnachtsschaul in‘t Schloß?“ So fragen 40 Kinder der kleinen hinterpommerschen Dorfschule; denn es ist seit langem Sitte, daß die Gutsarbeiterkinder zu Weihnachten von ihrer Herrschaft beschenkt werden. Ob es wohl wirklich wieder so sein wird? Das Sündenregister des vergangenen Jahres ist doch recht umfangreich und wenn es nun nach Verdienst und Würdigkeit geht, wird die Geschichte doch recht fraglich. Wer mag wohl im Sommer in den sauren Kirschbäumen in der Allee erwischt worden sein? Da werden dann die beiden Herrschaftskinder, die auch die Dorfschule besuchen, vorsichtig ausgehorcht, ob es diesmal wieder „Wihnachtsschaul“ sein wird. Doch die hüllen sich in geheimnisvolle Unkenntnis und müssen nur im Auftrag ihrer Mutter alle Namen aufschreiben. Dabei stellt man dann beruhigend fest, daß niemand übergangen ist, und vielleicht doch keiner dem angedrohten Gericht über Kirschendiebe verfallen wird. Man muß eben noch ein Weilchen weiter zappeln zwischen Hoffen und Bangen und inzwischen gut Weihnachtsgeschichte und Lieder bei der Frau Pfarrer lernen.
Auf dem „Schloß“, welches gar kein Schloß ist, sondern nur ein altes, großes, pommersches Herrenhaus, werden aber schon seit langem liebevolle Vorbereitungen getroffen. Es besteht nämlich keinerlei Zweifel, sondern freudige Gewißheit darüber, daß sich wie alljährlich die Gutsleute zur froher Feier unter dem Lichterbaum versammeln sollen. Da wird seit Monaten geplant, gestrickt und gebastelt. Zu geeigneter Friedenszeit fährt die Gutsfrau bis in die Reichshauptstadt zu den erforderlichen Einkäufen. In den immer karger werdenden Kriegsjahren muß anders Rat beschafft werden. Eins aber steht fest: die „Wihnachtsschaul“ darf nicht ausfallen. Es gelingt zu jedem Weihnachtsfest den Gabentisch zu decken. Da liegen für die Jungens Taschenmesser und Werkzeig, Mundharmonika und Trillerpfeife, für die Mädchen Kästchen und Körbchen, Malzeug und Puppengeschirr. Auch Handschuhe und Mützen, Shawls und Söckchen, Hemdchen und Höschen gibt es. „Geschichtenbäukers“ und die bekannten Tierschutzkalender dürfen nicht fehlen und nicht das Spielzeug für die ABC-Schützen. Da ist Familie Schneider mit den vielen Kindern. Denen kann man so schön eine ganze Eisenbahn aufbauen, jeder einen Wagen. Wie werden sie dann bei Mutter in der Stube und Stuhl und Tisch hindurch weite Reisen unternehmen.
Wenn dann die braunen Kuchenherzen gebacken sind und die roten Äpfel – die lange dafür im Keller bewahrten – in den Kiepen bereit stehen und manchmal auch die Walnußbäume vor dem Haus die Früchte reichlich spendeten, wenn der Weihnachtsabend naht, dann ist es soweit! Dann erfolgt die heißersehnte und ungeduldig erwartete Einladung aufs „Schloß“ zur „Wihnachtsschaul“ mit der Aufforderung, auch ja nicht zu vergessen, die leeren Schulranzen mitzubringen.
In früher Abendstunde füllt sich der lange, dunkle Gang vor der Gutsküche, es trippelt und trappelt, alle sind vor Aufregung ganz still und pusten und knuffen sich nur schweigend. Hilfreiche Hände schieben die Kleinen aus Mantel und Kappe. Wenn alle da sind und keiner mehr fehlt, werden sie herein geführt in die große Diele des Hauses, die sich an diesem Tage so festlich verändert hat. Da strahlt der Weihnachtsbaum, und das warme Licht seiner Kerzen spiegelt sich in vielen großen leuchtenden Kinderaugen. Im Hintergrund steht der weiß gedeckte Gabentisch. Aber es ist noch nicht die Hauptsache. Das wissen sie alle. Die Kleinsten werden ganz vorn an die Krippe gestellt und dürfen das „große Weihnachtswunder“ im Stall mit dem Jesuskind und den Hirten und Königen ansehen. Ochs und Esel, Hund und Schaf, Hase und Reh, Huhn und Hahn und der Vogel auf dem Dach, alles ist da, um das Christkind anzubeten. Ihm zu Ehren werden die lieben alten Weihnachtslieder gesungen, die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium von der Geburt des Heilandes wird aufgesagt; und die Sonntagsschulkinder schmücken die Feier noch mit manchem Vers und Spruch und Gesang. Blöckflötenmusik ertönt, und der Herr Pastor erzählt dort vorne an der Krippe leise und eindringlich den Kleinen vom Kindlein zu Bethlehem. Am Harmonium sitzt die Frau Pfarrer und begleitet den Gesang mit ihrem Spiel
Nun wird dann jedes Kind mit Namen aufgerufen, tritt an den schon lagen verstohlen betrachteten Gabentisch und wird von der Hausfrau beschenkt. Ihre Helfer teilen aus großen Körben die Äpfel und das Backwerk aus, und hat dann der letzte das Seine erhalten, wird noch einmal ein Lied gesungen. Mit Grüßen an alle Eltern und mit frohen Weihnachtswünschen ist ist die „Wihnachtsschaul im Schloss“ beendet. Der Abmarsch der Beteiligten geschieht sehr viel geräuschvoller als die Ankunft! Kuchen und Äpfel überleben selten den Heimweg, aber die nicht eßbaren Herrlichkeiten werden zu Hause unter das eigene Bäumchen gelegt, welches jede Familie vom Gutsherren erhält.
Aber eine kleine Schar von Kindern ist noch unbeschert geblieben. Es sind diejenigen vom weit abgelegenen Nebengut. Der lange Weg durch Kälte und Dunkelheit ist zu beschwerlich. Darum wird alle für sie säuberlich verpackt, daß nichts zerbricht und dann fährt die Gutsfrau mit ihren Kindern durch die Winternacht zu dem versteckten Dörfchen am Persantetal, um dort auch die „Wihnachtsschaul“ zu halten. Diese Feier im kleinen Raum des Verwalterhauses umgibt ein besonderer Zauber. Es ist wie ein Familienfest, wo alle ganz eng zusammengehören. Wohl kommt die „gnädige Frau“ als die Spenderin, aber in Wahrheit ist sie die zumeist Beschenkte. Diese Kinder bereiten ihr die Feier, sie ist hier die Empfangende. Ihr wird Weihnachtsfrieden und Weihnachtsfreude ins Herz gesungen von jungen Menschen, die hier in Liebe und Hingabe diese Weihnachtsstunde alljährlich selbst gestalten. Sie holen selbst das Bäumchen aus dem nahen Walde, der „Krühne“, sie schmücken es und umgeben es nun singend und kündend von der frohen Botschaft, die aller Welt widerfahren ist.
Nun sind alle die, die einst solche „Wihnachtsschaul“ miteinander hielten, aus ihrem Pommerland vertrieben worden und leben in der Fremde. Wenn sie da in Armut und Heimatlosigkeit ihre Christfeste begehen, wird wohl jeder, der sie erlebte, noch an die letzte Feier im pommerschen Gutshaus zurückdenken. Dunkel und drohend stand das nahende Unheil schon vor aller Augen, und Furcht und Trostlosigkeit wollten sich der Menschen bemächtigen. Aber die Kinder sangen und beteten im Krippenspiel die heilige Geschichte der Weihnachtsfreude in die verängstigten Herzen. Das wahre Licht der Weihnacht erstrahlte umso heller und tröstender, je finsterer alle Wege der Zukunft in undurchdringlichem Dunkel lagen. Dieses Licht ist auch heute nicht erloschen. Es wird weiter leuchten, bis es einst die Vertriebenen heimwärts führt, zurück ins Kinderland der „Wihnachtsschaul“.
Wir harren, Christ, in dunkler Zeit;
Gib Deinen Stern uns zum Geleit
auf winterlichem Feld.
Du kamest sonst doch Jahr um Jahr;
Nimm heut auch unsre Armut wahr
in der verworrenen 1 Welt.
(R. A. Schröder)
Quelle: Pommernkalender 1950
Liebe Heimatfreunde, wir waren eine alteingesessene Bauernfamilie in Wustrow, Kreis Greifenberg, Pommern. 1935 wurde unser Vater, Emil Marquardt, mit einer entsprechenden Ehrenurkunde ausgezeichnet. Unser Stammbaum reichte zurück bis ins Jahr 1589. In den Jahren ab 1587 siedelten hier in Hagenow, Wustrow und Zamow gewisse Marquardtś, die hier sesshaft wurden und Familien gründeten. Der Name Marquardt war hier stark vertreten.
Ja, meine lieben Pommernfreunde, lang, lang ist’s her, als ich 1944 mit 5 1/2 Jahren in Kamp-Wustrow, iKreis Greifenberg, eingeschult wurde, näherte sich der 2. Weltkrieg langsam dem Ende zu. Wir verspürten allerdings wenig vom nahen Ende. Wir lebten nach wie vor fast sorglos. Der Krieg war weit weg. Im Frühjahr 1945 wurde ich mit 5 1/2 Jahren eingeschult. Unser kleines Fischer- und Bauerndorf am Kamper-See lag trotz eines 1935 errichteten Fliegerhorstes ruhig im Dämmerschlaf. Das änderte sich im Spätsommer 1944. Wir hatten keinen Lehrer mehr.Unser Dorflehrer Manthey, mein Vater und viele gute Freunde der Familie wurden zum Volkssturm eingezogen. Meinem Vater man schon lange gedroht er sollte seine lockeren Sprüche, wie „dicker, fetter Hering – so fett wie Hermann Göring“ lassen, sonst könnte es ihm eines Tages leid tun. Ja, es war so. Bei der Verteidigung Stettins wurde er dann auch in Altdamm-Bahnhof schwer verwundet. Ein Granatsplitter riss ihm das linke Wadenbein auf. Kameraden retteten ihn. Ein zur Abfahrt bereitstehender Sanitätszug nahm ihn und einige weitere Schwerverwundete noch auf und dampfte ab, Richtung Westen ins Lazarett in Glückstadt. Hier überstand er diese schwere Zeit, fern der Heimat in Schleswig-Holstein.
Wir, unsere Familien erlebten in Wustrow erlebten das Kriegsende in der Heimat, in Kamp und Wustrow. Wir hatten keine Ahnung, daß die russischen Armeen bereits unmittelbar vor Kolberg standen. An Flucht war hier nicht zu denken, keine Familie wollte alles im Stich lassen, als am 4. März 1945 unser Bürgermeister gegen 3 Uhr in der Nacht ans Fenster klopfte und rief „fertigmachen die Russen kommen“! Weitere 2 Stunde später kam die Nachricht „alle raus – die Russen kommen!“ Wir hatten nichts vorbereitet! Ja, wir konnten doch den Hof, das Vieh und die ganze Wirtschaft nicht einfach verlassen und im Stich lassen. Wir wirtschafteten weiter wie bisher.
4. März 1945: Auf dem Kamper See herrschte plötzlich reger Flugverkehr. 16 Flugzeuge „Do 24“ flogen ununterbrochen Flüchtlinge und Heimkinder aus – Richtung Westen! Eine Maschine schmierte am 5. März ab und stürzte schwanzlastig, stark überladen, in den Kamper See. Vermutungen zum Absturz sind und bleiben nach wie vor ungeklärt! Vom Rober Rott wurde mit Maschinenwaffen aus Panzern auf diese Flugzeuge geschossen.