Von den alten Stralsundischen Hochzeitsbräuchen können wir uns noch heute ein ziemlich gutes und vollständiges Bild machen auf Grund der verschiedenen Hochzeitsordnungen, welche der Magistrat im Laufe der Jahrhunderte erlassen hat, und deren älteste aus dem Jahre 1310 stammt. Sie gewähren einen seltenen Einblick in die Besonderheit nunmehr längst vergessener Sitten und lassen erkennen, wie früher das Leben der Bevölkerung bis in die persönlichsten Angelegenheiten hinein von Bürgermeister und Rat bestimmt und geregelt wurde. Aus weiser Fürsorge und patriarchalischem Verantwortungsgefühl entstanden, verfolgten diese Verordnungen den Zweck der Vergeudung und Verschwendung feste Grenzen zu setzen, wozu offenbar das Bürgertum aller Stände gerade bei den Hochzeiten immer wieder neigte, wie das auch bis heute zuweilen bei der ländlichen Bevölkerung noch der Fall ist.
Bereits für die Verlobung waren früher in Stralsund feste Vorschriften gegeben. Sie mußte mit Wissen und Willen der Eltern oder Vormünder und der nächsten Verwandten geschlossen sein, wenn sie überhaupt Gültigkeit haben sollte. Außerdem hatte ein öffentlicher „Toschlag“ in Gegenwart von mindestens zwei voll beglaubigten Personen zu erfolgen, wodurch die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Handlung zum Ausdruck kommt.
In seinen Erinnerungen erzählt Ernst Moritz Arndt noch von einem anderen Stralsundischen Brauch. Im Mittelalter lag auf dem Alten Markl nicht weit vom Pranger ein sogenannter -Breiter Stein, von dem aus der Rat der Bevölkerung wichtige Neuigkeiten bekannt gab und von hier wurden auch neue Verlobungen verkündigt. Verlobte stellten sich in Festkleidern dahin und ließen unter Pauken- und Trompetenschall ihre Namen erklingen und se jedermanniglich zu Einrede und Einwand auffordern.
Nach dem „Toschlag“ erfolgte am selben Abend der „Upschlag“, der eigentliche Verlobungsschmaus, für den im ersten Stand (s.u.) höchstens 20 Gäste zugelassen waren, im zweiten Stand dagegen nur die Hälfte, wobei jedoch auswärtige Freunde nicht mit eingerechnet wurden. In Elternhaus der Braut kam man zusammen, und nach dem Essen, bei welchem nicht mehr als drei Gänge gereicht werden durften, und zu dem man im ersten Stand Rheinwein, im zweiten nur Bier trank, wurde getanzt. Besonders bezeichnend für die strenge Sparsamkeit des Rates ist, daß nach der Verordnung von 1570 es keinem Stande erlaubt war, nach der Mahlzeit Konfekt und Marzipan anzubieten, sondern ausdrücklich wurde befohlen, sich auf einheimische Früchte und einfache Kuchen zu beschränken. Sogar eine Polizeistunde war festgesetzt, zu der die Gäste nach Haus gehen mußten, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollten, in eine Geldstrafe genommen zu werden. So hatte der Verlobungsschmaus um 11 Uhr sein gesetzliches Ende.
Auch für die Zeit zwischen Verlobung und Hochzeit, welche man mit –„gelofte“ bezeichnete, hatte ein fürsorglicher Rat gewisse Bestimmungen erlassen. um auch hier jeder Verschwendung vorzubeugen. So war es zwar dem Bräutigam erlaubt, am Abend seine Braut in deren elterlichem Hause aufzusuchen, aber nicht gestattet, dorthin Freunde mitzunehmen. Nur die beiderseitigen Brauteltern durften in dieser Zeit Gäste zu sich einladen, jedoch niemals mehr als beim „Upschlag“ zulässig waren. Schließlich wird der Bräutigam in der Verordnung von 1720 noch besonders daran erinnert, der Magd seiner Braut kein allzu hohes Trinkgeld zu geben, wenn sie ihm abends mit der Laterne heimleuchtet. Wieviel hatte doch in jener Zeit der Rat zu bedenken, und wie gut wußte er mit den damaligen menschlichen Schwächen und Eitelkeiten Bescheid, die sich aus allen seinen Sitten und Verboten deutlich erkennen lassen?
Eine besondere Feier, wahrscheinlich wenige Tage vor der Hochzeit war die Einführung des Brautzeuges. In welcher Weise diese vor sich ging, ist nicht überliefert, vielmehr wird 1649 nur angeordnet das sie nicht am Sonntag zu geschehen habe. Zweifellos handelt es sich dabei um den gleichen Brauch, der sich in verschiedenen Gegenden Deutschlande auf dem Lande bis heute erhalten hat und z. B. in Pommern für Jamund bei Köslin bezeugt ist. Auf dem hochbepackten „Brautwagen“ wird die gesamte Aussteuer der Braut, Betten und Truhen, Wäsche und Hausrat in das künftige Heim der Verlobten gefahren und meist begleiten Burschen und Mädchen den fröhlichen Zug unter allerhand Scherzen und Zeremonien. Bevor jedoch das Brautzeug in das neue Heim gebracht wurde, pflegten es die befreundeten Frauen zu besichtigen.
Im übrigen waren auch für die Aussteuer den verschiedenen Ständen bestimmte Grenzen gesetzt. Der Erlaß von 1723 billigte einer Braut aus dem ersten Stand insgesamt nur drei Kleider zu das Braut- oder Festkleid, das Sonntagskleid und das Alltagskleid, dazu für höchstens 500 Rth. Leinenzeug und drei Stand Betten, der Bräutigam seinerseits durfte dagegen nur zwei Stand Betten und Leinen bis zum Gesamtwert von 400 Rth. mitbringen. Nie fehlte früher bei der Aussteuer die Brauttruhe oder -lade, welche zur Aufbewahrung des Leinenzeuges bestimmt war. Diese Truhe ist je nach dem Stil und Geschmackwandel der Zeit eine Schnitz- oder Einlegearbeit gewesen, bisweilen wurde sie auch bemalt und sehr häufig mit reichem schmiedeeisernen Beschlag verziert. Ihre besonderen Kennzeichen aber sind die Wappen oder Initialen der beiden Verlobten, denen oft noch die Jahreszahl beigefügt wurde. Sie war nicht nur ein Prunkstück, sondern ein Familienheiligtum, das heute noch die Kinder und Enkel mit besonderer Liebe und Ehrfurcht pflegen.
Vierzehn Tage vor der Hochzeit mußte sich das Brautpaar dreimal von der Kanzel während des Gottesdienstes in dem Kirchspiel, wo die Trauung stattfand, abkündigen lassen. Dazu hatte der Bräutigam den Nachweis zu erbringen, daß er das Bürgerrecht erworben habe, denn nur wer Bürger in der Stadt geworden war, dürfte heiraten. Wolli- sich jemand außerhalb der Stadt trauen lassen, mußte er die dazu erforderliche Erlaubnis einholen.
Die Hochzeit, welche noch im 10. Jahrhundert allgemein Brutlacht hieß, mußte an einem der ersten drei Wochentage stattfinden. Zu dieser wurden die Gäste aus der Stadt durch zwei junge Männer eingeladen, von denen der eine seitens des Bräutigams, der andere seitens der Braut kam; jeder von ihnen war dazu begleitet von einem biddersterschen, der in den verschiedenen Häusern die in die Form eines langen Gedichtes gebrachte Einladung verlas
Die Höchstzahl der eingeladenen Gäste war vom Rat festgelegt. So durften nach der Ordnung von 1640 die drei Stände 160, bzw. 100, bzw. 50 Personen einladen, in welche Zahl alle Teilnehmer der Hochzeit außer den Musikanten eingerechnet waren. Kinder, „die ihrer selbst nicht warten oder sich selbst regieren können“, durften nicht eingeladen werden. und erforderlichenfalls wurden sie von den Gerichtsdienern von den Türen des Hochzeitshauses abgewiesen. Damit aber die Behörde leicht kontrollieren konnte, ob die Zahl der für jeden Stand zulässigen Gäste nicht überschritten ist, war auch die Zahl der aufzustellenden Tische beim Mahl festgesetzt (13, 8. und 4 Tische), und kam es wirklich vor, daß mehr Tische als erlaubt aufgestellt waren, räumten die dazu bestellten Ratsdiener diese einfach weg. Wer- sich dagegen zur Wehr setzte, mußte 10 Rth. Strafe zahlen
Wie sehr sich aber der Rat in die persönlichsten Angelegenheiten seiner Bürger einmischte, geht am deutlichsten daraus hervor, daß er sogar über Art und Umfang der Hochzeitsgeschenke bestimmte Verfügungen erlassen hatte. Bereits im Jahre 1310. wurde angeordnet, daß der Bräutigam der Braut nicht mehr als ein Paar Schuhe schenken dürfe, diese dagegen ihrem Verlobten ein Paar Herrenhemden.
In der Hochzeitsordnung von 1640 werden dann zum erstenmal unter den Geschenken, welche Braut und Bräutigam sich geben, auch Ringe erwähnt. Diese durften je nach dem Stand der Verlobten aber nicht mehr als 50, 25 und 12 Gulden kosten. Eine eigenartige Sitte hatte sich zu Anfang des 18. Jahrhunderts eingebürgert. Am Hochzeitsmorgen schickten sich die Brautleute Brautkörbe mit „allerhand Leinen und anderem Gerähte“ zu und 1729 sah sich der Rat veranlaßt, auch hier zur Sparsamkeit zu ermahnen und vor allem bei 10 Rth. Strafe die seidenen und damastenen Schlafröcke für den Bräutigam zu verbieten.
Die ganze Hochzeitsgesellschaft musste im Sommer um 3 Uhr, im Winter um 2 Uhr in der Kirche sein. zusammen mit den Männern erwartete der Bräutigam in einem Kirchenstuhl die Braut aus dem er heraustrat, sobald diese unter Gesang und Musik die Kirche betreten hatte. Darauf traten beide an den Altar, wurden hier vom Geistlichen zusammengegeben, und nach dem dieser über ihnen gebetet und sie gesegnet hatte, war die kirchliche Feier beendet. Nach altem Brauch galt aber die Ehe jetzt noch nicht als geschlossen.
Die Gesellschaft begab sich nunmehr in das Haus, indem die Hochzeit gefeiert wurde, und hier fand es zuerst die besettinge am ehebedde statt. In dieser Weise vorgenommen wurde, entzieht sich unserer Kenntnis, zweifellos aber handelt es sich hier um eine altgermanische Sitte, nach welcher eine Ehe erst rechtsgültig war, wenn vor Zeugen Braut und Bräutigam eine Decke umfangen hatte.
Um 5 Uhr begann das Hochzeitsmahl. Es fand im Hause statt, oder in den vom Rat für diese Zwecke bestimmten Räumlichkeiten des König-Artus-Hofes.
Nach alter Gewohnheit gab es zwei Gerichte und darauf Butter und Käse. auf den Hochzeiten des 16 Jahrhunderts war der Genuss von Wein grundsätzlich verboten, und demzufolge musste man sich damals mit einheimischen Bier begnügen Punkt im 17 Jahrhundert wurde jedoch dem ersten Stand wenigstens Wein zugebilligt, der am Männertische aus gläsernen Römern getrunken wurde, während am Frauentische Wein sowohl wie Bier aus silbernen Krügen gereicht wurde. die beiden anderen Stände dagegen mussten sich mit Bier aus zinnernen und irdenen Krügen begnügen. Nachdem nach dem Essen das Dankgebet gesprochen und, wie noch heute auf Mönchgut, ein Danklied gesungen war, gab es noch einen Nachtisch, der bei Hochzeiten im ersten Stand aus Landesfrüchten bestand oder – wenn das infolge der Jahreszeit nicht möglich war – aus Zitronen, Äpfeln de Sina, Knack- und anderen Mandeln, Rosinen, Zuckerbrot und Makronen; alles andere Konfekt war bei 20 Rth. Strafe verboten.
Nicht länger als drei Stunden durfte die Mahlzeit dauern. Darauf folgte der Tanz, der mit einem Einzeltanz von Braut und Bräutigam eingeleitet wurde. Um Mitternacht mussten die Spielleute aufhören, Küche und Keller wurden gesperrt und einer der Schenken klopfte dann in dem Zimmer, wo ein Mitglied des Rates saß, mit seinem Stock an die Tür und verkündete mit lauter Stimme: “Di Herrn, die Klocke hatte zwölf geschlagen”. darauf hatten sich Braut und Bräutigam vor die Hausflucht zu stellen, alle Gäste mussten aufstehen und nach Danksagung und nochmaligen Glückwunsch für das Brautpaar heimgehen. Hatte die Hochzeit in einem der öffentlichen Lokale der Stadt stattgefunden, so durften vier Männer und vier Frauen das Brautpaar nach Hause geleiten, jedoch ohne Spiel und ohne die Gasterei daheim fortzusetzen. Im 17 Jahrhundert wurde dann die Polizeistunde auf 3 Uhr morgens festgesetzt, um welche Zeit ein Ratsdiener den Musikanten die Instrumente abforderte und diese in Verwahrsam nahm.
Schon längst sind diese alten Stralsunder Hochzeitsbräuche ausgestorben. Reste haben sich jedoch auf dem Lande, auf Mönchgut, bis auf unsere Tage erhalten.
Autor: Fritz Adler, der in Stralsund lange Zeit für das Stadtarchiv, die Volkshochschule und die Stadtbibliothek verantwortlich war
Quelle: Das Bollwerk : die NS Monatszeitschrift Pommerns, 1934 H 1, https://pbc.gda.pl/dlibra/publication/77877/edition/71229/content
Im Text ist häufiger von den drei Ständen die Rede:
Die wichtigsten sozialen Gruppen in den Städten im Mittelalter waren:
- Das Bürgertum: Diese Gruppe bestand aus wohlhabenden Bürgern, Kaufleuten und Handwerkern. Sie hatten oft politischen Einfluss und konnten in Stadtvertretungen oder Zünfte eintreten. Wohlhabende Bürger konnten auch Land besitzen und eine wichtige Rolle im Handel spielen.
- Handwerker und Zünfte: Handwerker organisierten sich in Zünften, die Regeln für die Ausübung ihres Handwerks festlegten, Qualitätskontrollen durchführten und die Ausbildung von Lehrlingen regelten. Zünfte spielten eine wichtige Rolle im städtischen Leben und waren oft eine Quelle von sozialer Mobilität.
- Die Unterschicht: Dazu gehörten Tagelöhner, arme Handwerker und andere, die oft in prekären Verhältnissen lebten. Sie hatten kaum Einfluss und waren häufig von wirtschaftlicher Unsicherheit betroffen.