Ein Roman vor dem Hintergrund der Familienforschung

Ein Beitrag von Karla Schmidt

 

Seit den 90er Jahren habe ich Familienforschung betrieben. In den Jahrzehnten ist, auch durch die Hilfe von Menschen aus diesem Verein, sehr viel Material zusammengekommen. Ordner über Ordner füllen die Regale und die Computerspeicher. Ich habe meine Familie auf eine Weise kennengelernt, wie es ohne diese Forschungsarbeit nie möglich gewesen wäre.

Es stellte sich die Frage aber mit der Zeit, was mit diesem ganzen Material eigentlich passieren könnte und sollte. Das Interesse von jungen Leuten für diese Forschungs-ergebnisse ist sehr häufig nicht – oder jedenfalls kaum – gegeben. Im schlimmsten Falle interessieren sie sich erst dafür, nachdem die jeweiligen Forschenden in der Familie gestorben sind und die ganzen Akten in den Papierschredder verschwunden sind.

Dabei ist genau die Schnittstelle zwischen Familiengeschichte und Weltgeschichte für das Verständnis der Gegenwart enorm wichtig. Unsere eigene Zeit lässt sich ohne die Sicht auf die Vergangenheit eigentlich gar nicht oder nur falsch verstehen. Die relevante Frage ist aber, woher wir das Wissen um die Vergangenheit beziehen. Vieles, was in die Geschichtsbücher Eingang findet, hat Dimensionen, die für den Übergang in persönliche Erkenntnisse so massiv sind, dass Lernende das Wissen auf Zahlen reduzieren und diese nach der Schule schnell vergessen. Wie kann man historisches Wissen so aufbereiten, dass es über das Faktische hinausreicht und Eigenwissen der Einzelnen wird? Die klassische Antwort auf diese Frage lautet: Erzählen. (mehr …)

Zeitreise

Ein Gastbeitrag von tm*

 

Wir alle kennen die Geschichten von früher, die unsere Groß- oder Urgroßeltern im Kreise von Familienfeiern so gern erzählten. Sie wurden öfter als einmal erzählt, manche viel öfter, so dass die Älteren schon auf Durchgang schalteten, amüsiert in sich hinein lächelten, oder den Text innerlich mitsprachen. Als Kind saugt man sie wie ein Märchen auf, in der eigenen Pubertät gibt es wichtigeres, als olle Kamellen. Mit zunehmendem Lebensalter wandelt sich auch das Empfinden von ‚Zeit‘ als physikalischer Größe. Man hat gesehen, wie Bäume gewachsen und Menschen um einen herum aufgewachsen, bzw. gealtert sind. Grabsteine auf Friedhöfen verschwinden, weil die Alten sie nicht mehr pflegen können, die Kinder weg zogen, oder die Pacht oder Pflegeverträge nicht verlängern wollen. Und die Jungen interessieren sich kaum für Menschen, die sie selbst nie kennengelernt haben. (mehr …)

Die Webseite Revenow, Kreis Cammin

Ein Beitrag von David Krüger

 

Vor 10 Jahren, relativ am Anfang meiner Forschung, kam ich mit meinen Verwandten ins Gespräch und bat Sie darum, mit mir über ihre Kindheit und Jugend zu sprechen. Es war mir wichtig, nicht nur die Lebensdaten zu erfassen – sondern auch, wie das Leben früher war. Viele berichteten von dem alltäglichen Leben, den Familienfesten – aber auch von der Flucht aus Hinterpommern und dem damit verbundenen, schmerzhaften Verlust der Heimat.

Es war mir wichtig, diesen Schmerz – zumindest innerhalb meiner Familie – zu lindern. Ich begann Informationen zu meiner Familie und der Heimat zu sammeln, insbesondere von einem Ort, den ich noch nie zuvor gehört hatte:

Revenow.

Mein Ziel war es nun, alle verfügbaren Informationen zusammenzutragen und so an die Heimat meiner Vorfahren und Verwandten zu erinnern. Meine Verwandten sollten wieder die Möglichkeit bekommen, ihre Heimat zu sehen – mit Informationen zur Geschichte, zu den Familien und aktuellen Fotografien. (mehr …)

Flucht in den Westen vor 60 Jahren

Ein Beitrag von Norbert Lorenz

 

Offiziell sollte die Reise mit dem Zug am Tag vor Weihnachten 1960 von Grimmen in Vorpommern über Berlin zu den Verwandten nach Thüringen gehen. Aber der Plan unserer Eltern war ein anderer. Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen, Schikanen und Verhöre von Stasi und Polizei, Bespitzelung im Umfeld usw. Das alles ließ letztendlich den Plan reifen, die Heimat zu verlassen und gleichzeitig den Weg in eine ungewisse Zukunft zu gehen. Von all dem sollte ich als 7-jähriger (mehr …)

Über das Aufschreiben von Erinnerungen, …

… über Trauer und Schmerz, über das „Warum“ und „Für wen“, über ein paar in Sätze gekleidete Notizen und eine Fortsetzung. Hoffentlich. Auf jeden Fall ein Liebesbrief.

Seit vielen Jahren schreibe ich meine Familiengeschichte(n) auf. Interessante Funde zu längst verstorbenen Vorfahren, Notizen aus Erzählungen von Verwandten, eigene Erinnerungen werden in lesbare Sätze gekleidet. Inzwischen sind daraus vier Bücher entstanden, die ich in der Familie verteilt habe. Zahlreiche weitere Aufsätze warten darauf, in einem Buch zusammengefasst zu werden. Ich bin noch nicht fertig, ich habe noch viel, worüber ich schreiben möchte. Muss.

Diejenigen, die im März 2019 beim Greif-Seminar in Greifswald dabei gewesen sind, können sich bestimmt noch an meinen voller Begeisterung gehaltenen Vortrag über das Aufschreiben von Geschichten hinter den Daten erinnern. Ich erzählte zum Beispiel von den unzähligen Gesprächen mit meiner Mutter, über ihre Erinnerungen und wie ich mir dabei schnell, oft unleserlich, auf den unmöglichsten Papierschnipseln Notizen gemacht hatte. Einmal hatte ich hastig eine Notiz auf einen auf dem Tisch liegenden Umschlag gekritzelt und sie hatte gesagt: „Wenn ich dich so schreiben sehe, muss ich immer an John Maynard denken: Und die Schwalbe fliegt über den Eriesee. Und dein Stift fliegt über den leeren Umschlag.“

Vorbei.

Wenige Wochen nach eben diesem Vortrag starb meine Mutter. Ich hatte zu ihr eine enge Beziehung, ihr Tod hat mich schwer getroffen. Ich vermisse sie jeden Tag, ihre Sprüche fehlen mir, ihre Geschichten.

Im Herbst 2019 schaffte ich es unter vielen Tränen, in einem Trauerbuch all die Erinnerungen an die Krankheit, den Tod, die Beerdigung meines Vaters, dann die Geschehnisse rund um den Tod meiner Mutter aufzuschreiben, an die bewegenden Trauerreden, die ich für beide gehalten hatte. An das Leerräumen der Wohnung, bei dem auch oft gelacht worden ist. An die Reise nach Velgast, Rügen und Zingst, die ich gemeinsam mit meiner Schwester zum Andenken an meine Mutter gemacht hatte.

Und dann folgte eine Schreibblockade. Eine Leere, ein „Warum“ und „Für wen“. Ich arbeite für den Greif-Blog, freue mich riesig über die Beiträge der anderen Forscher, Geschichten rund um deren Forschung. Habe selbst so viele Ideen, was ich schreiben könnte und ja auch will, aber am Ende des Tages habe ich wieder keine einzige Zeile über meine eigene Familienforschung zu Papier gebracht.

Dabei fühle ich gleichzeitig, dass ich es tun MUSS, denn niemand außer mir kennt die Geschichten meiner Eltern und meine eigene so gut wie ich. Und vermutlich niemand außer mir wird später mit den Notizen noch etwas anfangen können, viele davon immer noch nur in Stichworten vom Zettel in den PC getippt. Einblicke in ein Leben, für mich wichtig und interessant genug, dass ich sie mir sofort aufgeschrieben habe.

Erzählenswert allein schon deshalb, weil es ihr Leben war, ein Teil von mir und meinen Nachkommen.

Erinnerungen für mich als Kind meiner Mutter an meine Mutter als sie Kind war. Genau deshalb: Weil sie mir zeigen, dass meine Mutter nicht immer nur meine Mutter gewesen war. Sie war selbst auch mal jung, war Kind gewesen.

2021 wird nun das Jahr, in dem viele dieser Notizen und Stichworte erstmals in Sätze gekleidet werden. Erinnerungen an ihre Kindheit, die sie weitestgehend bei ihrer Oma verbracht hatte. Eine Kindheit, so ganz anders als meine. Fahrten mit dem Zug, als Vierjährige, ganz alleine. Über die gute Stube, in der ihre Mutter abends an dem Heiligabend starb, als meine Mutter sieben Jahre alt wurde. Über Zöpfe, die sie nicht tragen durfte und schmutzige Fingernägel. Über die Flucht in die britische Zone und dem Grund, warum sie darüber so glücklich war.

Jede noch so kleine Erinnerung ist wichtig. Jede Geschichte ist es wert, erzählt zu werden, weil jedes Leben einzigartig ist. Die Frage nach dem „Warum“ ist also klar.

Bleibt die Frage nach dem „Für wen“.

Meine Mutter hat sich über jedes meiner Bücher gefreut. Das letzte war das Buch über die Lebensgeschichte ihres Vaters gewesen. Gott sei Dank habe ich ihr das noch schenken können! Im Zweifel schreibe ich nun weiter, weil es MIR wichtig ist. Den Rest der Familie kriege ich auch noch, irgendwann.

Eine Freundin schrieb mir mal folgende Zeilen, ich finde, die passen hier nun wirklich gut.

Irgendwann, wenn deine Tochter schon Oma ist,

wird ein Cousin 5. oder 6. Grades mit ihr Kontakt aufnehmen

und dann werden die beiden auf den Speicher gehen, alte Koffer und Truhen öffnen

und nach deinem Buch suchen.

Sie werden es finden, allerdings schon ein bisschen staubig,

und der Cousin wird hocherfreut mit seinem Schatz von dannen ziehen und denken:

„Man gut, dass es Leute gibt, die mal was aufgeschrieben haben.”

 

Die Weihnacht beim Flüchtling

Ein Beitrag von Wolfram Stratmann

 

Nach dem zweiten Weltkrieg war die deutsche pommersche Bevölkerung auf abenteuerliche Weise in den Westen gelangt. Wenn man dort keine Verwandten hatte die einen freudig aufnahmen, dann lebte man noch jahrelang in prekären Verhältnissen. Aus einer solchen Umgebung stammt folgender Erfahrungsbericht aus einer Pommernfamilie:

Meine erste Weihnachtsfeier erinnere ich so. Trotz der eigentlich schlechten Zeit gab es auch in dieser Gegend Weihnachtsfeiern. Bei den noch ärmlich lebenden Flüchtlingen waren die dabei verteilten Geschenke nicht üppig, Socken und so was. In unserer Familie unterschied sich die Weihnachtszeit bisher nicht vom Alltagsleben. Dieses Mal ging Mutter mit mir zu einer Weihnachtsfeier. Vater hatte Mutter gedrängt mit mir hinzugehen. Sie wollte eigentlich nicht. Auf dem Hinweg meckerte Mutter vor sich hin. Ihr passte das nicht und ich hatte den Eindruck, als sei es ihr peinlich mit mir dorthin zu gehen. Während ihrer dunklen Vorahnungen meinte sie: „Alles sinnlos!“ (mehr …)

Ergänzung zum Blogbeitrag Familie Götz George

Am 01. Juli 2016 erschien in unserem Blog ein Bericht zur Familie von Götz George.

Link zum alten Beitrag: https://www.pommerscher-greif.de/die-familie-von-goetz-george/

Dieser Beitrag ließ damals noch einige Fragen offen, deren Beantwortung jetzt erfolgen soll. Des Weiteren sollen ergänzende Informationen dem interessierten Leser zur Verfügung gestellt werden. Sämtliche Informationen ließen sich durch Informationen aus diversen Portalen im Internet recherchieren.

Bertha Emilie Helene Drews, die Mutter von Götz George, wurde am 19. November 1901 als Tochter von Karl Otto Drews (1863-1941) und Helene Bertha Mathilde Harsdorff (1876-1914) geboren. Die Eltern haben am 30. Juli 1901 in Berlin geheiratet. Die Ehe ist aber bereits am 24. Mai 1910 durch das königliche Landgericht Posen geschieden worden. Ihr Vater stammt aus Königsberg/Ostpreussen und war der Sohn von Johann Martin Drews (1828-1904) und Johanna Emilie Seym (1831-1913). Ihre Mutter wurde in Stolzenburg, Kreis Randow geboren und war die Tochter von Hermann Harsdorf und Bertha Haak. Helene hatte noch eine Schwester Antonie Harsdorff (1884-1918), welche ausweislich ihrer Heiratsurkunde aus 1906 in Pasewalk geboren wurde, wo auch die Eltern zuletzt gewohnt haben sollen, welche zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits verstorben waren. Antonie heiratet 1906 in Berlin den Josef Anders (1879-?) und verstarb 1918 in Lappienen/Ostpreussen.

Die Eltern von Heinrich George waren der bereits erwähnte August Friedrich Schulz (1859-1940) und Anna Auguste Wilhelmine Emilie Glander (1868-?). August Friedrich Schulz wurde ausweislich seiner Sterbeurkunde am 01. April 1859 in Willenberg, Kreis Ortelsburg geboren wurde. Die Eltern waren Christoph Schulz und Luise Synagowitz.

Die Eltern von Anna Auguste Wilhelmine Emilie Glander waren die bereits erwähnten Friedrich Wilhelm Glander (1835-1903) und Henriette Wilhelmine Noack (1836-?). Sie haben am 30. Januar 1865 in Stettin geheiratet. Friedrich Wilhelm Glander wurde in Marsdorf, Kreis Naugard geboren. Henriette Wilhelmine Noack wurde in Pyritz geboren.

Die Eltern waren Christian Glander (1797-1873) und Regine Springstubbe (1812-1843), beide in Marsdorf, Kreis Naugard verstorben sowie Gottlieb Noack (1805-?) und Dorothea Christine Daber (1810-?). Henriette hatte eine Schwester namens Emma Emilie Noack (1839-1901), welche 1868 in Stettin den Christian Friedrich Wilhelm Zühl (1843-?) heiratete.

 

Ein Haus in Pommern

Julia Henke und ihr Mann Eric haben auf der Webseite Globonauten schon viele Reiseberichte veröffentlicht. Diese Reise führte Julia Henke in die Heimat ihrer Vorfahren.

 

Ein Beitrag von Julia Henke

 

Wir sind bereits seit zwei Wochen in Polen unterwegs, haben prachtvolle, gekonnt restaurierte Städte und Burgen, endlose Ostseestrände und pilzgesprenkelte Wälder erlebt. Wir haben wunderbar gegessen und mit leckerem Bier auf unser Glück mit dem strahlend spätsommerlichen Wetter angestoßen. Während in den meisten Nachbarstaaten Deutschlands die Corona-Zahlen aus dem Ruder laufen, scheinen wir mit Polen genau die richtige Entscheidung getroffen zu haben, zumindest im September 2020.

Auch im Slowinski-Nationalpark haben wir alles richtig gemacht. Wir wohnen nicht im geschäftigen Leba am östlichen Rand des Parks, sondern im winzigen Smoldzino. Und wenn die Matratze nicht so durchgelegen und die Kissen nicht so hart gewesen wären, hätten wir in dem Ferienhäuschen Pod Jesionem das Paradies gefunden. Wir empfehlen es trotzdem!

Mit einer Tasse Kaffee gehe ich nach einer unruhigen Nacht auf die schöne Dachterrasse. Der Morgendunst liegt über dem Dörfchen und den Feldern in der Ferne. Der Nachbar ist auch schon wach, bemerkt aber nicht, dass ich ihm von meinem Ausguck in den Hof schauen kann. Ein kleines altes Gehöft, ganz sicher aus der Zeit als Smoldzino noch Schmolsin hieß. Ein einfaches Wohnhaus, ein winziger Stall, vor dem Hühner im Gras picken. Der Nachbar läuft langsam und gebückt, ein alter Mann, der seine Tiere versorgt und es sich irgendwann auf der mittlerweile sonnenbeschienenen Holzbank gemütlich macht. Nicht viel anders wird es vor 100 Jahren gewesen sein, als meine Urgroßeltern drei Stunden westlich von hier in einem kleinen Dörfchen bei Schivelbein ihren Lebensabend genießen wollten. Lass uns nach Pribslaff fahren, sage ich zu meinem Mann. (mehr …)