Der Genealogentag in Berlin war eine Reise wert. Aber es gibt hier so viel zu entdecken für die pommersche Familienforschung, da habe ich noch zwei Tage drangehängt.
Im Nordwesten von Berlin, im Ortsteil Weißensee, findet sich der flächenmäßig größte erhaltene jüdische Friedhof Europas. Rund 116.000 Grabstellen kann man hier entdecken, von prunkvollen Familiengruften bis zu bescheidenen und kaum noch lesbaren Steinen. Vom berühmten Rabbiner Leo Baeck über Wirtschaftsgrößen wie Hermann Tietz, von Kulturschaffenden wie Angelika Schrobsdorff oder Stefan Heym bis hin zu den ganz einfachen Menschen, der Friedhof lädt ein zu einer Zeitreise durch das jüdischen Leben Berlins und ganz Deutschlands.
Jüdische Grabstellen sind für die Ewigkeit angelegt und werden daher nie abgeräumt. Auch die Zeit des Nationalsozialismus konnte dem Friedhof erstaunlicherweise nichts anhaben – ob es an seiner schieren Größe oder doch der Angst der Nazis vor einem Golem lag, die meisten Grabsteine sind seit der Einweihung 1880 erhalten. Da der Friedhof die Vergänglichkeit des Menschen symbolisieren soll, lässt man der Natur außerhalb der Wege freien Lauf. Bäume und Efeu umrahmen die alten Grabsteine gerade jetzt im Herbst stimmungsvoll.
Der Friedhof ist außer am Schabbat und den jüdischen Feiertagen täglich frei zugänglich. Männer werden gebeten, eine Kopfbedeckung zu tragen. Am Eingang des Friedhofs kann man eine kleine Broschüre erhalten, die den Weg zu Gräbern berühmter Menschen weist. Wer sich sehr gut vorbereiten möchte, dem sei „Der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee – Ein Wegweiser zu den Grab- und Erinnerungsstätten von mehr als 3650 Persönlichkeiten“ von Hans-Jürgen Mende und Nicola Vösgen (Pharus-Plan Verlag) empfohlen.
Die Orientierung auf dem großen Areal fiel zumindest mir nicht leicht, ich hatte vorab bei der Friedhofsverwaltung nach einem bestimmten Grab gefragt (juedfriedweissensee@jg-berlin.org) und Angaben erhalten, die sich auf dem Friedhofsplan nicht finden ließen. So habe ich mich dann irgendwann einfach treiben lassen und trotzdem vieles interessantes gefunden.
Nicht alle Menschen, deren Namen sich auf den Grabsteinen finden, sind auch hier begraben. Viele Steine erinnern an die, die in Konzentrationslagern oder an unbekannten Orten ermordet wurden, wie die beiden Steine im Gedenken an Mitglieder der Familie Mannheim aus Schivelbein:
Viele Spuren führen nach Pommern. Leopold Ascher aus Naugard, Familie Mendelssohn aus Gollnow, Georg Joseph aus Bublitz, Adolf Jacoby aus Belgard, Hermann Noack aus Anklam und Bertha Brauer aus Polzin sind nur einige Menschen, die in Berlin ihre letzte Ruhestätte fanden.
Der Holocaust lässt sich auch an diesem friedlichen Ort nicht ausblenden. Die Gedenkstätte im Eingangsbereich, die schon erwähnten Gedenksteine für ermordete Familienmitglieder, aber auch die vielen Grabsteine, die denselben Todestag für mehrere Personen ausweisen – Hinweise auf die fast 2000 Menschen, die sich während der Zeit des Nationalsozialismus das Leben nahmen.
Im Gedächtnis bleibt mir der selbstbewusste Apotheker Salo Schindler aus Oberschlesien – „Ich bin stolz ein Jude zu sein“, ließ der 1940 80jährig Verstorbene auf den Grabstein gravieren, der das Tausendjährige Reich bis heute überdauert hat.
Julia Henke, vielen Dank für diesen tollen Beitrag! Bei meinem nächsten Berlin-Besuch werde ich mir diesen Friedhof auch mal anschauen.