Der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee

Der Genealogentag in Berlin war eine Reise wert. Aber es gibt hier so viel zu entdecken für die pommersche Familienforschung, da habe ich noch zwei Tage drangehängt.

Im Nordwesten von Berlin, im Ortsteil Weißensee, findet sich der flächenmäßig größte erhaltene jüdische Friedhof Europas. Rund 116.000 Grabstellen kann man hier entdecken, von prunkvollen Familiengruften bis zu bescheidenen und kaum noch lesbaren Steinen. Vom berühmten Rabbiner Leo Baeck über Wirtschaftsgrößen wie Hermann Tietz, von Kulturschaffenden wie Angelika Schrobsdorff oder Stefan Heym bis hin zu den ganz einfachen Menschen, der Friedhof lädt ein zu einer Zeitreise durch das jüdischen Leben Berlins und ganz Deutschlands. (mehr …)

Die Schivelbeiner Excesse

Hinterpommern war im Sommer 1881 im gesamten deutschen Kaiserreich in aller Munde. Man sprach vom „pommerschen Bürgerkrieg“. Eine Geschichte, die fast vergessen ist.

Im Juli und August 1881 kam es in Städten und Dörfern rund um Neustettin zu schweren antijüdischen Ausschreitungen. Konkreter Auslöser für die Gewalt war der Brand der Synagoge in Neustettin. Die „Schivelbeiner Excesse“ am 7. August 1881 waren die wohl schwerwiegendsten Krawalle des Sommers. Stundenlang zogen hunderte von Randalierern durch die Stadt, zerstörten und plünderten jüdische Geschäfte und Wohnhäuser. Besonders hart traf es die Spirituosenhandlung von Heymann Jacobus.

Polizei und der Bürgermeister konnten gegen die Gewalt der Masse nichts ausrichten. Erst der Kriegerverein bekam die Lage wieder unter Kontrolle. 22 Schivelbeiner Bürgerinnen und Bürger wurden später in einem reichsweit beachteten Prozess zu Gefängnisstrafen verurteilt. 

Näheres über die Ausschreitungen, ihre möglichen Ursachen und die Geschichte der Familie Jacobus findet ihr unter Heymann Jacobus und die Krawalle von Schivelbein.

„Stein- und judenfreier Badestrand“

Zum Bäder-Antisemitismus in Pommern

Das diesjährige Sonderheft des Sedina-Archivs „Gebietsunterkunftsverzeichnis Pommern 1939“ enthält eine verloren geglaubte und sehr aufschlussreiche Quelle für die Familien- und Ortsforschung. Aufgelistet werden alle Hotels, Gasthöfe, Pensionen und Zimmervermietungen in Pommern sowie deren Betreiber. 

Einige Unterkünfte sind in der Liste nicht mehr vorhanden – die Herbergen jüdischer Betreiber. 1939 war die sogenannte „Arisierung“ jüdischer Unternehmen schon so weit vorangeschritten, dass es keine entsprechenden Betriebe mehr gab. Und auch jüdische Gäste waren 1939 nicht mehr vorhanden.

Der Antisemitismus im Tourismus und speziell in den deutschen Seebädern war jedoch deutlich vor 1939 entstanden. Seit 1910 veröffentlichte die jüdische „Central-Verein-Zeitung“ eine Liste von Kurorten und Gasthäusern, „deren Besuch unseren Freunden nicht empfohlen werden kann“.

In Pommern tat sich Zinnowitz auf Usedom besonders hervor. „Laut Prospekt war es stets das Bestreben der Kurverwaltung, das Bad von semitischen Kurgästen freizuhalten“, schrieb die Central-Verein-Zeitung am 29.03.1929. „Fern bleibt der Itz von Zinnowitz“ polterte das „Zinnowitzlied“, das man in den Zwanziger Jahren auf Postkarten verschicken konnte. Henkenhagen warb in Zeitungsanzeigen gar damit, dass sein Badestrand „stein- und judenfrei“ sei.

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Der Traum vom Kibbutz – Die Familie Lewin aus Schivelbein

Arthur Lewin aus Schwetz an der Weichsel und seine Frau Elise geborene Engel aus Schönlanke betrieben über viele Jahre hinweg ein erfolgreiches Textilgeschäft im Zentrum von Schivelbein. Das Eckhaus am Marktplatz, die Marienkirche im Rücken, diente der Familie als Geschäfts- und Wohnhaus. Anfang der 1940er Jahre mussten Arthur und Elise Lewin Schivelbein verlassen und nach Berlin ziehen. Beide wurden später nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert.

Das Geschäft von Arthur Lewin im hellen Haus links vor der Kirche, Quelle nicht bekannt

Ihre Kinder Erich und Ilse, beide in Schivelbein geboren, hatten sich der „Hachschara“-Bewegung angeschlossen. Hachschara bedeutet so viel wie Vorbereitung, „Tauglichmachung“ im eigentlichen Wortsinn. Ziel war es, junge Jüdinnen und Juden auf die Auswanderung nach Palästina und die Gründung von landwirtschaftlichen Gemeinschaftssiedlungen, den sog. Kibbutzim, vorzubereiten. Auf über 60 Lehrgütern verteilt über das ganze deutsche Reich wurden jüdische Jugendliche in den 1930er Jahren in der Landwirtschaft und im Handwerk ausgebildet. Hier lebte man so wie man es später auch in Palästina tun wollte – in einer Gemeinschaft, in der gemeinsam entschieden wurde, in der alle gleich sein sollten und alle das Gleiche besaßen, unabhängig von Herkunft und Vorbildung. Das spätere israelische Erfolgsmodell Kibbutz funktionierte nicht nur in den Tälern Galiläas, sondern auch in der pommerschen oder brandenburgischen Provinz. Die Hachschara-Lager in Pommern befanden sich in Dragebruch und Altkarbe im ehemals brandenburgischen Kreis Friedeberg/Neumark und in Freienstein in der Gemeinde Blankensee in Vorpommern.

Israelitisches Familienblatt 14.07.1938
Jüdische Rundschau 08.05.1934

Mehr über die Familie Lewin, die Hachschara-Bewegung und die entbehrungsreiche Zeit von Erich und Ilse Lewin auf ihrem Weg von Schivelbein nach Palästina, wo sie endlich in einem Kibbutz glücklich wurden, findet sich unter Der Traum vom Kibbutz – Familie Lewin aus Schivelbein

Akten der NS Finanzverwaltung digitalisiert

RBB24 berichtet unter der Überschrift  „Barbarei unter dem Aktendeckel“- dieser Titel trifft es sehr gut.

https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/02/landeshauptarchiv-brandenburg-digitalisierte-akten-enteignung-juden-ns-regime.html?

40 000 Akten der NS-Finanzverwaltung wurden vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv digitalisiert und online gestellt. Sie enthalten Informationen zu zehntausenden Menschen, die vom nationalsozialistischen Deutschland als jüdisch oder „reichsfeindlich“ verfolgt und ausgeplündert wurden. Akribisch haben die Nazibeamten Formulare ausfüllen lassen oder selbst ausgefüllt, die die Vermögenswerte vor der „Auswanderung“ feststellen sollten.  Auch Menschen, die in Pommern geboren waren, finden sich.

Zum Beispiel die Akte von Heinrich Jacobsohn, jüdischer Religion, der am 30.11.1881 in Freienwalde Kreis Saatzig geboren wurde und seiner Frau Cerline geb. Levy, die aus Schönlanke stammt

https://blha-digi.brandenburg.de/rest/dfg/LwNxQJFostFKUCQR

Die Akten beginnen mit einer Kassenbuchseite, wo notiert wurde, welchen Erlös die Besitztümer der Personen erbracht haben und welche Ausgaben evtl. entstanden sind. Der Hausrat Jacobsohn war 405 Reichsmark wert. Heinrich arbeitete als Arbeiter in einer Maschinenfabrik in Reinickendorf mit einem Wochenlohn von 35 RM. Das Ehepaar wohnt zur Untermiete in einem Leerzimmer, die Miete betrug 40 RM pro Monat. Akribisch wird auch erfasst, welche Religion selbst der Vermieter hat. Die Tochter Margot ist am 5.5. 1923 geboren, lebt nicht in der Wohnung und ist vermutlich Krankenschwester.

Signatur: 36A (II) 17026
Titel: Jacobsohn, Heinrich
Laufzeit: 1943-1962

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Das israelitische Erziehungsheim in Repzin und die Familie Baronowitz

Im „hintersten Hinterpommern“, im Dorf Repzin, zehn Kilometer von Schivelbein entfernt, existierte von 1901 bis 1930 eine Fürsorgeeinrichtung des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes. Bis zu 60 jüdische Jungen, von einfach nur Unartigen bis hin zu Kriminellen, verbrachten hier durchschnittlich ein Jahr, um sich zu „bessern“. Die Jungen mussten fernab ihrer Familien bis zu zehn Stunden am Tag hart arbeiten, wurden nachts in den Schlafsälen eingeschlossen und für Verfehlungen setzte es Prügel. Die Lebensbedingungen im alten Schloss waren alles andere als einfach. Ein baufälliges Gebäude, oft nur kaltes Wasser, ständige Geldnot und personelle Engpässe prägten den Alltag. 1930 wurde die Anstalt nach Berlin verlegt und ein Tuberkoloseheim des Kreiskommunalverbands Schivelbein zog in die alten Mauern ein.

Die Familie des Erziehungsdirektors Baronowitz trotzte den widrigen Bedingungen fast 30 Jahre lang. Adolf und Else Baronowitz rieben sich für die Jungen auf. Im Ersten Weltkrieg wuchs Else Baronowitz über sich selbst hinaus und vertrat ihren Mann nicht nur in den harten Jahren der Kämpfe, sondern auch während seiner Kriegsgefangenschaft. Ihre vier kleinen Kinder, die alle in Repzin geboren worden waren, musste sie sechs Jahre lang allein erziehen.

Adolf Baronowitz war ein Kämpfer, der sich nicht nur für die Jungen in Repzin, sondern auch für eine bessere Altersversorgung von Lehrern einsetzte. „Strenge, Arbeit und Belehrung“ war das Motto seines pädagogischen Konzepts, das lange Jahre akzeptiert wurde. In die reformpädagogischen Strömungen der 1920er Jahre passte er damit allerdings nicht mehr. 1929 musste das Ehepaar Baronowitz den Posten in Repzin räumen. Ein schwerer Schlag vor allem für Else Baronowitz – sie starb nur ein Jahr später mit 51 Jahren in Schivelbein.  

Die Judenverfolgung sollten nur der älteste Sohn Werner und zwei Enkel überleben. Adolf Baronowitz, seine Kinder Käthe, Ilse und Heinz und die Enkeltöchter Susanne und Eva wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Die vollständige Geschichte des Israeltischen Erziehungsheims in Repzin und der Familie Baronowitz mit vielen Nachweisen und Quellenangaben findet Ihr hier:

https://ahnenblog.globonauten.de/das-israelitische-erziehungsheim-in-repzin-und-die-familie-baronowitz/

Wie immer – ich freue mich über jede Anmerkung und Ergänzung sowie über jeden Verbesserungsvorschlag!

Im Fluss der Zeit – Jüdisches Leben an der Oder

Ausstellung »Im Fluss der Zeit – Jüdisches Leben an der Oder« / »Z biegiem rzeki – Dzieje Żydów nad Odrą«
3. März 2019, Pommersches Landesmuseum, Greifswald

Das Deutsche Kulturforum östliches Europa und das Pommersche Landesmuseum laden herzlich zur Eröffnung der deutsch-polnischen Ausstellung

»Im Fluss der Zeit – Jüdisches Leben an der Oder«/»Z biegiem rzeki – Dzieje Żydów nad Odrą« am 3. März 2019 um 14 Uhr ein. Im Anschluss an die Vernissage findet eine Führung durch die Kuratorinnen, Dr. Magdalena Abraham-Diefenbach und Dr. Magdalena Gebala, statt.

Bericht des NDR über diese Ausstellung: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/nordmagazin/Ausstellung-Juedisches-Leben-an-der-Oder,nordmagazin60640.html

Über die Ausstellung:
Die Landschaft an der Oder mit ihren wechselnden herrschaftlichen und nationalen Zugehörigkeiten war über Jahrhunderte ein Begegnungsraum. Hier kreuzten sich auch die deutsch-jüdische und die polnisch-jüdische Kultur. In der Neuzeit bedrohte der Nationalismus, gepaart mit dem Antisemitismus, diese kulturelle Vielfalt an Oder, Obra und Warthe. Der Nationalsozialismus zerstörte sie. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden weite Abschnitte der Oder zur deutsch-polnischen Grenze und die deutsche Bevölkerung aus den Regionen östlich des Flusses vertrieben. Polen fanden hier eine neue Heimat und für kurze Zeit schien es, dass in Niederschlesien und Pommern jüdisches Leben heimisch werden könnte. Mehrere Zehntausend polnisch-jüdische Holocaustüberlebende siedelten sich hier an, doch die meisten wanderten bis Ende der 1960er Jahre wieder aus. Die jahrhundertelange Anwesenheit von Juden an der Oder fiel dem Vergessen anheim, ihre Spuren wurden oft zerstört.

Die Ausstellung widmet sich Momenten der jüdischen Geschichte beiderseits der Oder. Sie will zum Nachdenken und zum Gespräch zwischen den ehemaligen und heutigen Bewohnern der Region anregen. Sie ist zugleich eine Einladung zur Neuentdeckung des deutsch-polnisch-jüdischen Kulturerbes dieser Landschaft.

Im Begleitprogramm der Ausstellung auch zwei Vorträge:
Donnerstag, 14. März 2019, 18.00 Uhr:
Prof. Dr. Jörg Hackmann (Stettin/Greifswald): Die deutsch-jüdische Geschichte Stettins. Eine Spurensuche, Eintritt: 2,50 Euro

Donnerstag, 21. März 2019, 18.00 Uhr:
Nadine Garling, M. A. (Stralsund): Die jüdischen Kaufmannsfamilien in Stralsund, Eintritt: 2,50 Euro.

Im Fluss der Zeit - Plakat
Im Fluss der Zeit – Plakat